Die EU spielt im Konflikt um die Ukraine eine bedeutende Rolle. Die Proteste im November begannen, weil der inzwischen abgesetzte Präsident Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterzeichnete – und sich stattdessen Russland zuwandte.
SRF: In welcher Lage ist die EU derzeit?
Sabine Fischer: Die EU ist in einer sehr schwierigen Lage. Denn sie hat es in Kiew mit einer Regierung zu tun, die sich stark an die EU orientiert. Die Ukraine will jetzt schnellstmöglich dieses Assoziierungsabkommen abschliessen, steht aber gleichzeitig im Konflikt mit Russland. Zu Russland pflegt die EU ja ebenfalls intensive Beziehungen. Sie bemüht sich jetzt darum, zum Beispiel Finanzhilfen für die Ukraine zu organisieren. Ergänzend unterstützt die EU im Rahmen der OSZE den Versuch, auf politischem und diplomatischem Wege zu einer Beruhigung auf der Krim zu kommen.
Im Konflikt geht es um die Ausrichtung der Ukraine gegen Osten oder Westen. Welche Interessen hat die EU dabei?
Sie ist interessiert, die Ukraine über das Assoziierungsabkommen näher an sich heranzuführen. Das hat viel mit politischen und wirtschaftlichen Interessen zu tun.
Die EU gerät aber auch mit ihren eigenen Interessen in Konflikt, denn sie ist auch an den Beziehungen mit Russland massgeblich interessiert – ein Dilemma. Die bisherigen Entwicklungen können negative Auswirkungen haben auf die Beziehungen EU-Russland haben.
Putin gibt derzeit in diesem Konflikt den Takt vor. Soll die EU auf der Gegenseite Stärke zeigen – etwa durch Sanktionen – oder eher deeskalieren?
Aus EU-Perspektive ist es bereits ein Versuch, auf der Krim deeskalierend zu wirken. Eine Verschlechterung der Beziehungen zur Russland kann wirtschaftliche Folgen haben für die EU. Die wirtschaftlichen Folgen für Russland dürften aber weitaus grösser sein. Denn Russland ist in den Energiebeziehungen mindestens so abhängig wie die EU. Angesichts der Stagnation der russischen Volkswirtschaft und Unterentwicklung vieler Sektoren trägt Russland zudem ein grösseres Risiko als die EU. Russland ist von entwickelten Industrienationen in Sachen Technologie- und Know-how-Transfer abhängig.
Gebe es statt Sanktionen auch positive Massnahmen, die die EU im Konflikt ergreifen könnte?
Im Moment ist es äusserst schwierig. Denn Russland hat durch die Intervention auf der Krim die Souveränität und territoriale Integrität des eigenen Nachbarstaates und denjenigen der EU schwer verletzt. Das macht es schwierig, mit positiven Massnahmen zu reagieren. Deshalb ist es für die EU prioritär, zu deeskalieren und zu verhandeln, um Russland zu Verhandlungen zu bringen und Druck auszuüben. Ob die EU dereinst wieder positiv auf Russland reagieren kann, hängt stark vom Verhalten Russlands in den kommenden Monaten ab.
Wo im Konflikt hat die EU Fehler begangen?
Die EU die Entwicklungen in Russland und in der Ukraine sehr lange unterschätzt. Janukowitsch hat mit dem Assoziierungsabkommen gespielt: Ihm ging es in erster Linie darum, Russland und die EU gegeneinander auszuspielen. Die EU hat darüber hinaus das Protestpotenzial in der Ukraine unterschätzt und auch mit welcher Härte Russland darauf reagiert hatte.