Die Taliban haben bei ihrem Eroberungszug im afghanischen Kundus nach Angaben von Amnesty International schwerste Verbrechen begangen. Mit Morden an Zivilisten, Gruppenvergewaltigungen, Entführungen und dem Einsatz von Todesschwadronen hätten die Taliban in kürzester Zeit eine «Schreckensherrschaft» in der Stadt errichtet, hiess es in einer Erklärung der Menschenrechtsorganisation.
Amnesty berief sich auf zahlreiche Berichte von Augenzeugen und Bürgerrechtlern. Die islamischen Fanatiker hatten die Stadt am Montag erobert. Am Donnerstag stiess die afghanische Armee ins Zentrum der Stadt vor und begann mit der Vertreibung der religiösen Terrorbanden.
Taliban setzen Kinder ein
«Die grauenvollen Berichte, die wir erhalten haben, beschreiben eine Schreckensherrschaft während der brutalen Eroberung von Kundus», sagte der afghanische Amnesty-Vertreter Horia Mosadik. Er forderte die afghanischen Sicherheitsbehörden auf, viel mehr für den Schutz der Zivilisten zu tun.
Nach Angaben von Amnesty International setzen die Taliban kleine Jungen auf Erkundungstouren durch die Häuser ein, um ihre Opfer, vor allem Frauen, ausfindig zu machen. Familienangehörige von afghanischen Polizisten und Soldaten, darunter auch Kinder, würden gezielt ermordet, weibliche Verwandte vergewaltigt.
Hebamme getötet
Eine Hebamme wurde wegen ihrer Tätigkeit von einer Gruppe von Männern vergewaltigt und dann zusammen mit einer Kollegin ermordet, berichtete Amnesty weiter unter Berufung auf einen Verwandten des Opfers.
«Als die Taliban die Kontrolle über Kundus erlangten, haben sie verkündet, sie würden Recht und Ordnung und die Scharia in der Stadt einführen», sagte eine Bürgerrechtlerin. «Alles was sie taten, hat dagegen verstossen. Ich weiss nicht, wer uns aus dieser Situation befreien kann.»
Häftlinge freigelassen
Bislang wurden nach Angaben der Behörden 49 Tote und 330 Verwundete in die Krankenhäuser der Stadt gebracht. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen teilte mit, sie habe seit Montagmorgen in Kundus 296 Verletzte behandelt, darunter 64 Kinder.
Die Taliban liessen Häftlinge aus den Gefängnissen der Stadt frei und rüsteten sie laut Amnesty mit Waffen aus, damit diese gegen die afghanischen Regierungstruppen kämpfen.