SRF: Noch-EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso sagte: «Es gibt nun keinen Grund mehr zu frieren für die Menschen in Europa.» Ist mit der Vereinbarung die Gasversorgung für die Ukraine und Europa tatsächlich sichergestellt?
Jonas Grätz: Ich denke, dass sich jetzt beide Seiten an diese Vereinbarung halten werden. Es wurde ja auch vereinbart, dass die Ukraine ausstehende Schulden zumindest zum Teil begleichen und Russland dann die Lieferung wieder aufnehmen wird. Ich gehe also davon aus, dass diesen Winter nicht mit einer Unterbrechung der Lieferung zu rechnen ist.
Aber es ist nach wie vor nur eine vorübergehende Lösung, die nur bis Ende des Winters bestand hat.
Ja, die Vereinbarung gilt bis Ende März, das ist ein sogenanntes Winterpaket. Man wollte keine längeren Vereinbarungen auf dem Verhandlungswege treffen, denn beide Seiten haben sich in Stockholm vor dem Schiedsgericht verklagt. Das ist mit dem gegenwärtigen Gasvertrag möglich. Sie warten hier noch auf ein Urteil, das die Streitfragen regeln wird. Dazu gehören der Preis, die Abnahmemenge und so weiter.
Während Monaten wurde verhandelt, jetzt steht die Vereinbarung. Was hat die Einigung nun möglich gemacht?
Die Ukraine hat eingelenkt. Eigentlich hatte man ja eine solche Vereinbarung über einen um 100 Dollar reduzierten Gaspreis von Russland bereits in der Hand. Man hat das gleiche Papier eigentlich schon 2010 unterzeichnet – damals gegen eine Verlängerung der Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim. Russland hat diese politische Vereinbarung damals, nachdem es die Krim annektiert hatte, ausgesetzt. Die Ukraine sagte daraufhin, dass sie sich auf eine kommerziell bindende Vereinbarung zwischen den beiden Firmen Naftogaz und Gazprom einigen wolle. Kiew hat in diesem Punkt nun nachgegeben. Man hat also wieder nur eine zwischenstaatliche Vereinbarung, und keine kommerzielle Vereinbarung zwischen den Firmen abgeschlossen.
Die Ukraine ist mehr oder weniger bankrott, muss aber noch Schulden für frühere Gaslieferungen begleichen. Wie kann sie die Summen für das Gas aufbringen?
Das ist mir nicht ganz klar. Der EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat davon gesprochen, dass gewisse Mittel aus dem IWF-Programm für Gaslieferungen bereitgestellt würden. Diese seien bereits in einem speziellen Fonds. Dann will man die zukünftigen Programme des IWF beschleunigen, so dass die Ukraine weitere Geldtranchen aus dem bestehenden IWF-Programm erhält. Und man will auch von der EU-Kommission her noch mehr Hilfe lockermachen. Aber diese Hilfen dürften eher gering sein, so dass der IWF hier die Hauptquelle des Geldes sein müsste.
Russland sass stets am längeren Hebel im Gasstreit. Ist Russland der grosse Gewinner in diesem Streit um das Gas?
Das kann man schon so sagen. Je näher der Winter rückte, desto stärker wurde die Verhandlungsposition Russlands. Russland hat also nicht nur die Krim annektiert. Es hat auch nochmal einen Vertrag abgeschlossen, der aus Sicht der internationalen Gemeinschaft eigentlich schon besteht, nämlich den über diese Reduktion des Gaspreises. Und dann hat es auch noch eine Begleichung seiner Gasschulden erreicht. Die Ukraine wird in den nächsten Monaten 3,1 Milliarden US-Dollar überweisen. Das ist ja schon ein grosser Gewinn für Russland.
Das Gespräch führte Tina Herren.