Staudämme in Indien, Bergbauprojekte in Haiti, Erdölbohrungen im Tschad – das Geld der Weltbank steckt in vielen Projekten. Eigentlich sollte damit Entwicklung gefördert und Armut gelindert werden. Schliesslich hat sich die Weltbank das auf die Fahnen geschrieben. Und doch passiert in vielen Fällen genau das Gegenteil.
Stellvertretend dafür stehe ein aktuelles Beispiel aus Äthiopien, berichtet die Ökonomin und langjährige Weltbank-Beobachterin Korinna Horta von der Entwicklungsorganisation Urgewald. Dort würden in einem Grossprojekt, an dem die Weltbank beteiligt sei, Kleinbauern von ihren fruchtbaren Feldern vertrieben.
Verstoss gegen bankeigene Sozialstandards
«Unter dem Vorwand, dass ihnen soziale Hilfeleistungen zugute kommen, werden sie dabei auch oft mit grosser Gewalt zwangsvertrieben», führt Horta aus. Ihre fruchtbaren Böden würden dann an grosse Agrarinvestoren vergeben.
Ein klarer Verstoss gegen die bankeigenen Sozialstandards – mit dramatischen Folgen: Von der Armut gehe es nach der Zwangsumsiedlung oft in die Verelendung, sagt Horta. Trotzdem sagt die Aktivistin: Die Sozial- und Umweltstandards, von denen die Weltbank ihre Kreditvergabe abhängig macht, seien sehr gut. «Aber woran es vollkommen hapert, ist deren Umsetzung.»
Nur bei der Hälfte der Umsiedlungen läuft alles gut
Dass es Defizite bei der Umsetzung und Überwachung gibt, hat auch Weltbank-Chef Jim Yong Kim kürzlich nach grossem öffentlichem Druck zugeben müssen. Jörg Frieden, der als Exekutivdirektor unter anderem die Interessen der Schweiz bei der Weltbank vertritt, wird konkreter: Von der Weltbank finanzierte Projekte seien jedes Jahr mit der Umsiedlung Tausender von Menschen verbunden.
Das sei oft notwendig, aber nur bei der Hälfte der Umsiedlungen laufe alles gut. Bei 15 Prozent der Fälle gebe es dagegen grosse Probleme. Und daneben gebe es eine grosse Grauzone, bei der man auch in der Weltbank nicht genau wisse, wie es laufe. Bedenkt man, dass die Weltbank jedes Jahr rund 60 Milliarden Dollar an Krediten vergibt, ist das eine bemerkenswert bedenkliche Aussage.
Kulturproblem bei der Weltbank
Die Verantwortung sieht Frieden vor allem bei den Kreditnehmern, also den Regierungen armer Länder: «Die Projektdurchführung war immer in ihren Händen. Die Bank hat versucht, die Regierungen bei der Durchführung der Investitionen und Umsiedlungen so gut wie möglich zu unterstützen.»
Warum das in vielen Fällen nicht auftragsgemäss funktioniert, mag der Schweizer Weltbank-Vertreter nur vermuten: «Es geht sicher um Mittel, um Finanzen, um Mitarbeiter und ihre Zeit.»
Doch es geht auch darum, dass die Weltbank falsche Anreize setze, sagen Entwicklungsexperten wie der frühere Weltbank-Mitarbeiter Erich Vogt. Er lehrt an der Universität Toronto. «Die Weltbank ist eine Bank. Und da werden auch die Kulturvorgaben einer Bank mit übernommen», sagt er. Wer erfolgreich «umsetze», werde auch bei Beförderungen eher berücksichtigt.
Befördert würden diejenigen, die möglichst schnell viel Geld für Projekte ausgäben. Die Auswirkungen der Projekte auf die Umwelt oder die Armen seien dagegen eher nebensächlich für die Karriere. Die Probleme dürften sich sogar noch verschärfen, befürchtet Vogt. Denn im Rahmen der laufenden Revision der Umwelt- und Sozialstandards werde künftig noch mehr Verantwortung auf die Entwicklungsländer übertragen. Die seien damit aber oft überfordert, sagt der Professor.
Revidierte Sozial- und Umweltstandards
Exekutivdirektor Frieden bestätigt die Pläne der Weltbank indirekt. Viele Probleme tauchten ohnehin erst während der Projekte auf, sagt er. Darum wolle die Bank die langwierigen Vorprüfungen auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit künftig abkürzen. Das Geld könne dann schneller fliessen.
Die Weltbank passe sich damit auch der Realität neuer Kräftverhältnisse an, sagt Frieden zur Begründung: «Die neue Realität ist insbesondere, dass die Weltbank heute nur einen winzigen Bruchteil der globalen Investionen in Infrastruktur mitfanziert.» Entsprechend spielten die Bankprojekte keine zentrale Rolle mehr, sondern die eigenfinanzierten Projekte der Regierung.
Der Weltbank erwächst neue Konkurrenz
Frühere Klienten der Weltbank wie China oder Indien können sich inzwischen selbst finanzieren. Sie sind sogar zu Konkurrenten der Weltbank um lukrative Aufträge geworden. Neue Spieler wie die von China dominierte internationale Entwicklungsbank oder grosse Privatinvestoren setzen die Weltbank unter Druck.
Zu strenge Standards könnten daher ein Wettbewerbsnachteil sein, befürchten Teile des Weltbank-Managements. Nicht zu Unrecht: In den letzten Jahren ist der Anteil der Weltbank an den globalen Investitionen auf rund zwei Prozent geschrumpft.
Kritiker warnen vor Politik zu Lasten der Armen
Ziel sei es, «die Wirkung der Bank in diesem Bereich zu verbessern und sicher nicht abzuschwächen», sagt Frieden. Das dürfte klar zu Lasten der Armen gehen, warnen Kritiker wie Horta von Urgewalt. Der vorliegende Entwurf zur Revision der Umwelt- und Sozialstandards sei jedenfalls voller Ausnahmeklauseln und stelle eine ziemliche Aufweichung der bisherigen Standards dar «Damit man hinterher die Weltbank für überhaupt nichts mehr verantwortlich machen kann», so Horta.
Ende Jahr sollen die überarbeiteten Standards in Kraft treten. Sollten sich die Weltbank und ihre Anteilseigner bis dann nicht umbesinnen, droht das Versprechen von Weltbank-Chef Kim, es künftig besser zu machen, wirkungslos zu verpuffen.