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International «Erdogan will die kurdische HDP politisch sturmreif schiessen»

Die türkische Regierung bekämpft die Terrororganisation «Islamischer Staat» neuerdings auch militärisch. Von den bisher über 1000 Festgenommenen sind allerdings nur 22 mutmassliche IS-Mitglieder. «Der Rest sind Kurden und Linke», sagt der Journalist Thomas Seibert.

Thomas Seibert

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Der Journalist Thomas Seibert ist USA-Korrespondent des «Berliner Tagesspiegels». Zuvor berichtete er während 20 Jahren für verschiedene Zeitungen und Radiosender aus der Türkei.

SRF News: Oppositionspolitiker werfen Präsident Erdogan vor, er nehme den Kampf gegen den «Islamischen Staat» nur als Vorwand, um gegen die Kurden vorzugehen. Was ist dran an diesem Vorwurf?

Thomas Seibert: Man kann auf jeden Fall sagen, dass Erdogan den Kampf gegen den «Islamischen Staat», der ihm durch diesen Anschlag in Suruç aufgezwungen wurde, als Chance begreift, auch gegen die PKK vorzugehen. Das ist ganz klar erkennbar: Die Luftangriffe im Nordirak auf die PKK-Stellungen sind die ersten derartigen Aktionen des türkischen Staates seit mehr als drei Jahren. Da fragt man sich natürlich, warum ausgerechnet jetzt. Und nach Presseberichten geht die Polizei bei den zeitgleich gestarteten Festnahme-Wellen, die sich offiziell gegen alle Extremisten richten sollen, ganz besonders gegen PKK-Leute vor. Ich habe heute Morgen eine Meldung gelesen, wonach von den mehr als 1000 Festgenommenen, die bis jetzt registriert wurden, nur 22 mutmassliche Mitglieder des IS sind. Der Rest sind Kurden und Linke.

Die PKK steht seit einiger Zeit massiv unter Druck. Was heisst das für die andere kurdische Partei, die HDP, die im Juni auf Anhieb ins Parlament gewählt wurde?

Die HDP als legale kurdische Partei ist durch diese Situation in eine sehr schwierige Lage gebracht worden. Die türkische Regierung versucht, die HDP in der Öffentlichkeit praktisch als Terrorhelferin hinzustellen. Sie fordert eine klare Distanzierung der HDP von den PKK-Rebellen. Das Ganze ist natürlich politisch gefärbt. Bis vor Kurzem hat die Regierung noch Friedensgespräche mit der PKK geführt. Jetzt werden all deren Anhänger zu Terroristen verdammt. Die HDP soll also praktisch durch diese Konfrontation zu einer klaren Aussage gezwungen werden – für oder gegen die PKK.

Kann sich die HDP denn überhaupt so klar distanzieren von der PKK?

Nein, das kann sie nicht. Und das weiss Erdogan natürlich ganz genau. Die HDP und die PKK sind eng verbunden. Genau deshalb will Erdogan die HDP zwingen, Farbe zu bekennen. Das Problem daran ist, dass damit die gesellschaftlichen Spannungen in der Türkei weiter steigen. Diese waren durch den Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der PKK gesunken. Jetzt wird wieder eskaliert. Erdogan verspricht sich davon innenpolitische Vorteile. Aber das gesellschaftspolitische Klima verschlechtert sich durch die Gewalt wieder.

Audio
«Erdogan verlangt von der HDP, Farbe zu bekennen»
aus SRF 4 News aktuell vom 28.07.2015.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 44 Sekunden.

Es gibt die These, dass Erdogan die PKK provozieren will, um die HDP in ein schlechtes Licht zu rücken. Seine AKP könnte dann als Retterin auftreten.

Ja, das ist offenbar die Grundüberlegung hinter der Politik von Erdogan und Ministerpräsident Davutoglu in den vergangenen Tagen. Die HDP soll möglichst unter zehn Prozent der Wählerstimmen gedrückt werden. Bei der Wahl im Juni hatte die HDP überraschend stark abgeschnitten und 13 Prozent erhalten. Offenbar soll die HDP jetzt politisch sturmreif geschossen werden.

Das Ziel Erdogans wären in dem Fall Neuwahlen?

Genau. Erdogans AKP hatte im Juni ihre absolute Mehrheit im Parlament verloren. Diese Stimmenverluste gingen zum Einen darauf zurück, dass die AKP recht viele Stimmen an die Rechtsnationalisten verloren hat. Auf der anderen Seite haben viele Kurden, die vorher für die AKP gestimmt hatten, diesmal die HDP gewählt. Und um genau diese Wählergruppen wieder zurückzugewinnen, fährt die AKP jetzt diesen harten Kurs gegen die HDP. Dies in der Hoffnung, bei Neuwahlen im November die absolute Mehrheit wieder zurückerobern zu können.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

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