SRF News: Frau Karamanolis, kann sich Premier Alexis Tsipras nach dem neusten Sparpaket noch an der Macht halten?
Alkyone Karamanolis: Im Augenblick ist alles offen. Tsipras wird nächste Woche, sobald die erste Tranche des Geldes ausbezahlt ist, wohl die Vertrauensfrage stellen. Man kann davon ausgehen, dass einige im Regierungslager gegen ihn stimmen werden. Die Parlamentspräsidentin zum Beispiel, die der linken Plattform nahesteht, hat heute Morgen in der Debatte gesagt, sie werde den Premier nicht mehr unterstützen. Sie sei enttäuscht von ihm und seiner hundertachtzig-Grad Kehrtwende. Das war eine offene Kampfansage, und es war nicht die einzige. Was nach der Vertrauensfrage passiert, wird man sehen. Für September ist ein Sonderparteitag der Syriza-Partei anberaumt. Ich gehe davon aus, dass sich da die Linke Plattform abspalten wird.
Die Menschen wissen, dass schwere Zeiten auf sie zukommen.
Premier Tspiras ist mit sehr viel Wohlwollen in seine Regierungszeit gestartet, wie viel Vertrauen haben die Griechinnen und Griechen nach heute noch in ihn?
Tsipras ist weiterhin der beliebteste Parteichef in Griechenland. Die anderen zwei grossen Parteien, Pasok und Nea Demokratia, haben abgewirtschaftet. Sie sind in viele Korruptionsskandale verwickelt. Ausserdem wird ihnen angelastet, dass das Land überhaupt in die Krise geraten ist. Es gibt im Moment keine Alternative zu Tsipras. Tsipras ist ausserdem jung, er ist unverbraucht und hat einen guten Draht zu den Menschen. Sie wissen zwar, dass schwere Zeiten auf sie zukommen. Sie hoffen, dass Tsipras wenigstens die Korruption bekämpft, für mehr Gerechtigkeit eintritt und das Sparpaket abmildert, wo er kann. Wenn es zu Neuwahlen käme, wäre es nicht sicher, dass Syriza die Mehrheit erhalten würde. Sie wäre aber wahrscheinlich die stärkste Kraft.
Kurz zusammengefasst: Zu welchen Einschnitten hat das griechische Parlament heute eigentlich ja gesagt?
Es geht um die Kürzung der Renten, um die Einrichtung eines Privatisierungsfonds, um die Mehrwertsteuererhöhung, die seit zwei Wochen in Kraft ist, um weitere Steuererhöhungen. Gerade bei den Renten ist es interessant zu wissen, dass im Moment jeder zweite Bezüger mit seiner Rente auch arbeitslose Familienmitglieder versorgt. Teilweise werden ganze Familien vom Grossvater oder der Grossmutter durchgefüttert. In Griechenland gibt es nach Ablauf der Arbeitslosenhilfe keine Sozialhilfe. Das heisst, diese Menschen sind auf die Hilfe von Verwandten angewiesen.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic