Die Abgeordneten des Europaparlaments haben die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan betriebene Aufhebung der Immunität von 138 türkischen Abgeordneten in grosser Einmütigkeit kritisiert.
«Andere Gangart gegenüber der Türkei»
«Wir sind fassungslos, dass es im 21. Jahrhundert möglich ist, in einer derartigen Weise ein Klima der Angst und Einschüchterung zu schaffen», sagte die Vorsitzende der Fraktion der Linken, Gabi Zimmer, im EU-Parlament in Strassburg.
Unter den betroffenen Abgeordneten sei auch die Kurdin Leyla Zana, die 1995 den Sacharow-Preis für Meinungsfreiheit des Europaparlaments erhalten habe. Die EU könne dies nicht einfach hinnehmen. «Wir brauchen eine andere Gangart gegenüber der Türkei.»
Von unabhängiger Justiz ist keine Rede mehr
«Wir dürfen keine Kompromisse mehr machen», sagte auch die niederländische Liberale Marietje Schaake unter Hinweis auf die von der Türkei geforderten Visaerleichterungen und die Beschleunigung von Beitrittsverhandlungen mit der EU.
«Von unabhängiger Justiz ist keine Rede mehr», sagte Alexander Graf Lambsdorff von der deutschen FDP. «Wird die Sicherheitslage deswegen besser? Genau das Gegenteil ist der Fall.»
Warnung vor Folgen
Kritiker werfen Erdogan vor, er wolle durch Verfahren gegen die Abgeordneten, von denen viele der kurdischen Partei HDP angehören, die eigene Mehrheit stärken und damit ein Präsidialsystem schaffen. Die kollektive Aufhebung ihrer Immunität werde den Kurdenkonflikt in der Türkei weiter anheizen.
Beitrittsverhandlungen beenden
Wenn nun Abgeordnete inhaftiert würden, nur weil sie ihre Meinungsfreiheit nutzten, könne dies «gefährlich werden», warnte auch die niederländische Sozialistin Kati Piri.
Erdogan trete alle Grundrechte mit Füssen, sagte Renate Sommer von den deutschen Christdemokraten. «Das ist ein Drama für die Türkei, aber es ist auch ein grosses Problem für die EU.» Die EU müsse die Beitrittsverhandlungen «endlich und endgültig» beenden, forderte sie.
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Keine Rechtfertigung für Terror
Für das Gegenteil plädierte der österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn. Die EU-Behörde sei überzeugt, dass es sinnvoll sei, zwei neue Verhandlungsbereiche über Justiz und Grundrechte mit der Türkei zu eröffnen, um «Standards zu definieren». Die Türkei sei zwar in der Flüchtlingsfrage ein wichtiger Partner – doch bedeute dies «keinen Blankoscheck». Die Kommission sei über die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten und über die Lage in den Kurdengebieten «ernstlich besorgt».
«Es gibt keine Rechtfertigung», sagte die niederländische Sozialdemokratin Kati Piri zu Terroranschlägen in der Türkei. «Aber man muss etwas in eine gerechte und dauerhafte Lösung der Kurdenfrage investieren.»