Draussen brüllt und droht der Mob. Drinnen harren Flüchtlinge dem, was da noch kommen mag. Die Bilder aus Heidenau gingen um die Welt. Andernorts brennen Asylunterkünfte. Deutschland ist entsetzt – auf der grossen politischen Bühne regt sich Widerstand: «Ekelerregend», befindet Kanzlerin Angela Merkel. Vizekanzler Sigmar Gabriel spricht von einem «Pack».
Rückendeckung erhalten Deutschlands Mächtige von Lokalpolitikern. Keine Selbstverständlichkeit, wie Gabriel einräumt: «Leute wie ich sind hinreichend geschützt», so der SPD-Parteivorsitzende. «Fragen Sie mal den Heidenauer Bürgermeister, wie der sich fühlt, wenn hundert Rechtsterroristen vorm Haus vorbeimarschieren und ‹Volksverräter› rufen».
Gemeint hatte er Jürgen Opitz (CDU). Er ist einer derjenigen, die den viel zitierten Aufstand der Anständigen dieser Tage gleichsam an der Front anführen. Und durch seine deutlichen Worte zur Zielscheibe wird. Doch Opitz zeigt sich unbeeindruckt: «Endlich werden die Probleme mit den Rechtsradikalen angesprochen und diskutiert.»
Keine blindwütigen Gewaltorgien
Dass dies getan werden sollte, legen die Worte von Fabian Wichmann von «Exit Deutschland» nahe. Seine Vereinigung setzt sich mit der Vorstellungswelt von Neo-Nazis auseinander und hilft ihnen beim Ausstieg aus der Szene. Für ihn vollzieht sich in diesen Tagen ein bekanntes Manöver der Rechtsradikalen. Sie zielen mit ihren Demonstrationen und Brandanschlägen auf Einschüchterung: «Sie wollen ein Klima der Angst verursachen.»
Sie fühlen sich bemüssigt, den Willen des Volkes umzusetzen
Die Gewalt ist weder Selbstzweck noch spontanter Ausbruch. Sie folgt deutschlandweit einer «kollektiven Schwarmidee der Abschreckung», sagt Wichmann: «Im besten Fall wollen die Brandstifter damit eine ganz andere Flüchtlingspolitik der Regierung einleiten.» Gewalt und Gesinnung seien im rechtsextremen Lager nicht voneinander zu trennen, sondern «elementarer Bestandteil der Ideologie.»
Der scheinbar blinde Hass soll also in konkrete politische Bahnen gelenkt werden. Ein Rezept, das mitunter aufgeht: So trat etwa der Bürgermeister der sächsischen Gemeinde Tröglitz im März zurück. Er war wegen geplanter Wohnungen für Asylanten massiv von Rechtsextremen bedroht worden.
Die Grenzen der Gewalt
Doch die «Politik der Gewalt» kennt für gewöhnlich Mobilisierungsgrenzen. Nun aber scheint sich der Wind mancherorts gefährlich zu drehen, wie Wichmanns Ausführungen nahelegen. So prägte zwar auch in Heidenau der harte Kern der Rechtsradikalen das Bild der Strassenkämpfe.
Doch erst durch stille Duldung, oder sogar offene Akzeptanz, kann die rechte Szene politisch wahrhaftig wirksam werden. «Es gibt ein grosses Feld an goutierenden Bürgern am Rand, die die Aktionen gutheissen. Durch sie fühlt sich der rechtsradikale Mob bemüssigt, den ‹Willen des Volkes› umzusetzen.»
Wenn Fremdenhass salonfähig wird
Die Szene ist vielfältiger und in beide Richtungen durchlässiger, als man vermuten würde. Die viel zitierten «Globalisierungsverlierer», vorab unter Jugendlichen, gebe es zwar durchaus, so Wichmann. «Aber es gibt nicht nur die Verlierer und Benachteiligten, sondern viele soziale Schichten sind vertreten.»
Hier drohten durchaus «Zusammenschiebungen» zwischen der organisierten Szene und Teilen der bürgerlichen Gesellschaft, so der Extremismus-Experte. Und: «Es ist davon auszugehen, dass sich ein stärkeres Potenzial entwickelt, wenn man nicht politisch und zivilgesellschaftlich entgegenwirkt.»