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International Wider den braunen Hass – Deutschlands Mächtige empören sich

Im sächsischen Heidenau wütet ein rechter Mob gegen Flüchtlinge, attackiert Polizisten und eine Asylunterkunft – den dritten Tag in Folge. Auch unbescholtene Bürger laufen und schreien mit. «Ekelerregend», sagt Kanzlerin Merkel. Und auch in Sachsen hat man genug.

«Die Nazi-Schande von Heidenau» titelte die «Bild», Deutschlands auflagenstärkste Zeitung. Mit der drastischen Wortwahl ist das Boulevard-Blatt nicht allein. «Ekelerregend» sei es, wie «betrunkene Schreihälse» ihre Hass-Botschaft in Heidenau verbreiteten, liess Kanzlerin Angela Merkel über ihren Sprecher ausrichten.

Demonstranten in Heidenau tragen ein asylkritisches Transparent vor sich her.
Legende: Die Heidenauer Front gegen Flüchtlinge greift über Neo-Nazis. «Ekelerregend», findet Kanzerin Merkel. Keystone

Nach einem Treffen mit Frankreichs Präsident François Hollande legte Merkel, für gewöhnlich um mässigende Töne in der Migrationsdebatte bemüht, auch persönlich nach. Und wurde auch deutlich gegenüber den Mitläufern ohne Nazi-Insignien: «Es ist beschämend, dass Bürger, teilweise mit Kindern, diese Rechtsextremen durch Mitlaufen bei den Demonstrationen noch unterstützen».

Die Bilder, wie ein brauner Mob in der ostdeutschen Provinz Flüchtlinge terrorisiert, wühlen Deutschland auf. «Es ist tatsächlich eine Schande, für das Bundesland, für den Freistaat, aber auch für ganz Deutschland», sagt Geert Mackenroth, Landtagsabgeordneter und Ausländerbeauftragter für den Freistaat Sachsen.

Erschreckendes Potenzial an Hass und Gewalt

Für Mackenroth steckt mehr hinter den Ausschreitungen, als ein explosiver Cocktail aus Rauschtrinken und Rassismus – nämlich auch Parteiprofilierung am rechten Rand: «Natürlich steckt die NPD dahinter, sie hat zu der Demonstration aufgerufen. Sie kämpft damit den verzweifelten Kampf gegen den Fall in die Bedeutungslosigkeit.» Tatsächlich verabschiedete sich die rechtsextreme Kleinpartei jüngst aus dem sächsischen Landtag; ihr parlamentarisches Wirken beschränkt sich nunmehr auf Mecklenburg-Vorpommern.

Besonders erschreckt Mackenroth das «Potenzial an Hass und Gewalt. Das ist etwas Neues, auf das wir in irgendeiner Form reagieren müssen.» Das Patentrezept, dem in physische Gewalt umschlagenden Fremdenhass Einhalt zu gebieten, habe man aber nicht. «Es ist Repression gefordert, die Justiz muss abschreckende Signale setzen.» Neben erhöhter Polizei-Präsenz rund um Asylunterkünfte müsse auch ein allgemeines Demonstrationsverbot rund um die Einrichtungen ins Auge gefasst werden.

Das ist kein rein sächsisches Problem.
Autor: Geert Mackenroth Sächsischer CDU-Abgeordneter

Vizekanzler Sigmar Gabriel forderte heute in Heidenau mit markigen Worten, man dürfe «diesen Typen, die sich hier ausgebreitet haben, keinen Millimeter Raum geben.» Sekundiert wird er vom sächsischen Ausländerbeauftragten: «Ich kann die Bilder nicht mehr aushalten, die ich aus dem Freistaat Sachsen, einem wunderbaren Land, um die Welt gehen sehe. Das vermittelt einen falschen Eindruck.»

Audio
Fremdenfeindlichkeit in Sachsen
aus Echo der Zeit vom 24.08.2015. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 7 Minuten.

Doch ist dieser Eindruck tatsächlich verfehlt, in einem Bundesland, indem die NPD auch schon um die 9 Prozent Stimmenanteil verzeichnete – hat die politische Mitte zulange weggeschaut? «Wir sprechen hier nicht von einem rein sächsischen Problem», interveniert Mackenroth. Überall in Deutschland gebe es «Reaktionen einiger Teile der Bevölkerung auf die explodierenden Flüchtlingszahlen.» Man dürfe aber auch nicht jede Kritik an der Asylpolitik mit dem Stigma des Rechtsextremismus belegen.

Für diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen, ist das Boot beileibe nicht voll.
Autor: Geert Mackenroth Sächsischer CDU-Abgeordneter
Vizekanzler Gabriel spricht mit einer Demonstrantin in Heidenau.
Legende: Begleitet von Bodyguards suchte Vizekanzler Gabriel heute den Dialog mit den Demonstranten. Reuters

Gegen das Ausgreifen fremdenfeindlichen Gedankenguts in die Mitte der Gesellschaft will Mackenroth aber rigoros vorgehen. Jedoch nicht nur mit Repression: «Wir müssen auf die Macht des Wortes setzen, den Menschen klar machen, dass die aktuelle Entwicklung nicht nur Last ist, sondern tatsächlich auch eine Chance sein kann. Wenn uns das gelingt, werden wir diejenigen, die jetzt zweifeln und mitlaufen, vielleicht wieder in den Schoss des Rechtsstaates zurückholen können.»

Aber es werde ein langer Weg, und ein schwieriger, räumt Mackenroth ein. Für 2015 erwartet Deutschland 850‘000 Flüchtlinge – Rekord. Zahlen also, die nicht dazu angetan sind, dass sich der Ton in der Migrationsdebatte – und schon gar nicht sein Widerhall auf der Strasse – mässigt.

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Doch der Ausländerbeauftragte spricht aus Erfahrung, und interveniert: «In dem Moment, in dem die Menschen ein Gesicht bekommen, ihre Geschichte erzählen, gibt es eine grosse Akzeptanz ihnen zu helfen.» Und auch wenn immer wieder «Das Boot ist voll!» gerufen werde: «Für diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen, ist das Boot beileibe noch nicht voll.»

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