Vor dem höchsten Gericht in Wien finden seit dieser Woche öffentliche Verhandlungen über angebliche Fehler statt, die es rund um die Bundespräsidentenwahl im Mai gegeben haben soll. Fehler, welche die Wahlverlierer der FPÖ mit ihrem Kandidaten Norbert Hofer geltend machen.
Die Rede ist auch von Schlamperei. Offen ist aber, ob die Wahl wiederholt werden muss.
SRF News: Stimmt es, dass bei dieser Wahl gravierende Fehler gemacht worden sind?
Christian Rainer: Es sind sicherlich gravierende Fehler gemacht worden. Aber die Frage, ob dies nun zu einer Wahlaufhebung und zu einer Neuwahl führt, lässt sich damit noch nicht beantworten. Zur Erklärung: Für eine Aufhebung relevant sind Gesetzwidrigkeiten erst dann, wenn dadurch das Wahlergebnis beeinflusst werden kann. Das lässt sich derzeit nicht wirklich abschätzen. Wenn zum Beispiel ein Stimmcouvert aufgemacht, der Stimmzettel aber nicht herausgenommen wird, oder wenn die Stimmen um 7 Uhr statt um 9 Uhr ausgezählt werden, wären dies zwar Gesetzwidrigkeiten, aber sie würden keine Neuwahl bringen, weil dadurch alleine keine Stimmenverschiebung stattgefunden hätte.
Für eine Aufhebung relevant sind Gesetzwidrigkeiten erst dann, wenn dadurch das Wahlergebnis beeinflusst wird.
Was löst das in der Politik und bei den Wählern für Reaktionen aus?
Eine gewisse Nervosität, weil es durchaus möglich ist, dass Österreich nun eben nicht nur bei der Fussball-EM ausscheidet, sondern auch aus dem Verbund der zivilisierten europäischen Staaten. In diesem Fall wäre aber nicht ein Schweizer Trainer daran Schuld, sondern ein deutsch-national-österreichischer Politiker. Denn wenn es wirklich zu einer neuen Wahl dieses Bundespräsidenten käme, so – das ist meine Einschätzung – wäre die Möglichkeit und die Chance, dass nun Norbert Hofer gewinnt, grösser als beim letzten Mal. Einerseits, weil das österreichische Volk nun denken würde, dass es Wahlbetrug gegeben hat – obwohl nichts darauf hindeutet, dass hier Vorsatz vorgelegen ist. Und andererseits darf man nicht vergessen, dass das Wahlergebnis zuletzt stark davon beeinflusst war, dass unmittelbar davor die Regierungspartei den Kanzler und den Parteivorsitzenden, der das Feindbild Nummer Eins dieses Kandidaten war, ausgetauscht hatte. Das läge bei einer Neuwahl weit zurück und könnte darum dem FPÖ-Kandidaten in die Hände spielen.
Falls das Verfassungsgericht gegen eine Stichwahl entscheidet, würde die FPÖ dieses oberste Organ der Republik ein weiteres Mal anzweifeln.
Wie gross wäre der Imageschaden, wenn Hofer das Amt bekäme?
Ich glaube, der wäre gewaltig. Gerade uns als Journalisten wird oft Nestbeschmutzung vorgeworfen, wenn wir sagen, ein Norbert Hofer wäre eine Schande oder zumindest genant für Österreich. Andererseits ist dieser Politiker nun wirklich jemand, der nicht wie ein SVP-Politiker nur rechts oder ausländerkritisch ist. Hofer kommt aus einem deutsch-nationalen, der Parteichef der FPÖ, Heinz-Christian Strache, sogar aus einem Neonazi-Umfeld. Der Kandidat hat also eindeutig ein sehr revisionistisches Geschichtsbild. Dass er darüber hinaus auch sehr xenophob in seinen Ansichten und Forderungen ist, kommt noch hinzu. Vor allem dieses Geschichtsbild wäre eine ziemliche Schande für Österreich.
Macht das Verfassungsgericht seine Arbeit denn gut?
Ja, es macht einen hervorragenden Job. Die Richter sind wirklich unabhängig und unbeeinflusst. Eigentlich hegt niemand einen Zweifel daran, dass die Erkenntnis des Verfassungsgerichts auch eine gerechte sein wird. Ich fürchte nur, falls nun der Verfassungsgerichtshof gegen eine Stichwahl entscheidet, würde die freiheitliche Partei ein weiteres Mal auch dieses oberste Organ der Republik anzweifeln. Die FPÖ-Politiker würden sagen, dass diese Richter beeinflusst gehandelt haben – was ich ausschliesse – und es käme zu einer weiteren Schlammschlacht.
Was könnte geschehen, wenn die Bundespräsidentenwahl wiederholt werden muss?
Ich fürchte, dass dann die Chancen des Kandidaten Hofer grösser wären als beim letzten Mal. Und da beim letzten Mal der Unterschied nur 30'000 Stimmen und wenige Zehntel Prozentpunkte war, hätte Hofer eine gute Chance, zu gewinnen. Ob ich glaube, dass es zu einer solchen Aufhebung kommt? Ich kann mich täuschen, aber ich wage trotzdem die Prognose, dass es eher nicht zur Aufhebung kommt.
Das Gespräch führte Tina Herren.