SRF: Was bedeutet es, wenn Sie eine Reproduktionsrate für Ebola von 2,18 berechnet haben?
Tanja Stadler: Das heisst, dass ein infizierter Mensch im Schnitt 2,18 weitere Menschen mit dem Virus ansteckt. Das bedeutet auch, dass sich die Infektion rasend schnell ausbreitet.
Zeigt der Wert auch auf, wie aggressiv der Virus ist?
Er sagt nur etwas über die Geschwindigkeit der Ausbreitung aus, nicht aber über die Sterblichkeit der Infizierten. Ein Wert von mehr als 2 bei der Reproduktionsrate ist an sich schon hoch. Dramatisch an der Ebola-Epidemie ist aber, dass mehr als die Hälfte der Infizierten an der Krankheit stirbt.
Was bedeutet die von Ihnen berechnete Reproduktionsrate: Breitet sich das Virus schneller oder langsamer aus, als man geglaubt hatte?
Es gab Schätzungen zwischen 1,2 und 8,2. Wir liegen mit dem Durchschnittswert von 2,18 für also eher am unteren Ende der Erwartungen. Allerdings war die Zahl 8,2, die für Sierra Leone genannt worden war, angezweifelt worden. Unser Ergebnis liegt in etwa dort, wo wir es vermutet hatten und wir konnten es nun über genetische Daten bestätigen. Wir stellten bei unseren Untersuchungen auch fest, dass einige Erkrankte weit mehr als zwei Menschen anstecken, andere dagegen fast niemanden.
Wie muss man den Wert 2,18 im Vergleich etwa zu einer Grippe-Epidemie einschätzen?
Bei der Schweinegrippe von 2009 geht man von einer Reproduktionsrate von 1,5 aus. Ein Grippe-Infizierter hat also ein bis zwei weitere Personen angesteckt. Das heisst: Ebola breitet sich schneller aus, als die Grippe von 2009.
Ist das nicht erstaunlich, da Ebola ja nicht über Tröpfchen übertragen werden kann wie die Grippe?
Ja. Hier kommt die Vermutung ins Spiel, dass viele Ebola-Infektionen in Westafrika bei Beerdigungen erfolgen. Denn nur wenn man mit Flüssigkeiten in Berührung kommt, die den Virus enthalten, steckt man sich an. In der Region werden Tote bei der Beerdigung traditionellerweise angefasst. Man vermutet, dass die Epidemie in Sierra Leone ihren Anfang bei der Beerdigung einer an Ebola verstorbenen Person nahm.
Wie können die Behörden und Helfer in Westafrika Ihre Forschungsergebnisse nutzen?
Mit unserer Forschungsmethode erhalten wir nicht nur die Reproduktikonsrate, sondern auch die Inkubationszeit eines Infizierten. Das ist die Zeitdauer zwischen Ansteckung und Ausbruch der Krankheit. Dieser Zeitraum ist wichtig, denn der Infizierte hat keinerlei Krankheitssymptome, ist aber bereits infiziert. Wir schätzen die Inkubationszeit auf rund fünf Tage. Insofern ist eine Ausgangssperre von drei Tagen, wie jene kürzlich in Sierra Leone, eigentlich zu kurz. Allerdings ist umstritten, ob Ausgangssperren überhaupt etwas bringen. Denn auch innerhalb einer Familie kann der Virus dann weitergegeben werden.