Der Verkehr rollt, die Läden sind offen. Die Versorgung klappt. Aber der Wert der Landeswährung zerfällt, und sogar Grundnahrungsmittel sind für Millionen Syrerinnen und Syrer unerschwinglich geworden. Nadir zeigt auf den geländegängigen Wagen, vollbeladen mit Tomaten. «Mit solchen Pickups haben wir die Verwundeten evakuiert. Hierher kommen keine Ambulanzen», sagt er.
Gebiete ausserhalb von Rebellen kontrolliert
Der Grossmarkt von Zablatani liegt am äussersten Rand der Zone, die von der Regierung kontrolliert wird. Sporadisch schlugen auch hier Geschosse ein aus dem benachbarten Rebellengebiet in der sogenannten Ghourta Sharquia. Es ist das grösste zusammenhängende Gebiet, das die Rebellen im Umland von Damaskus – oder was davon übrig ist – noch halten, nach fünf Jahren Kampf und Bombenhagel.
Die Ghouta beginnt gleich hinter dem Niemandsland, das an den Grossmarkt anschliesst. Zur Stadt hin ist das Gebiet hermetisch abgeriegelt von der Regierungsarmee. Die stärkste Kraft in der Rebellenzone ist die sogenannte Jeish al-Islam, eine gut organisierte, islamistische Kampftruppe, deren wichtigste Sponsoren in Saudi-Arabien sitzen.
Die Opposition besteht darauf, dass Vertreter der Jeish al-Islam in Genf mitdiskutieren. Russland und das Regime Assad dagegen wollen die Organisation auf die Terrorliste setzen. Und Nadir will das auch. Wie das syrische Regime bezeichnet der Händler die Rebellen unterschiedslos als Terroristen.
Die Ghourta Sharqia ist fruchtbares Gebiet. Vor dem Krieg war sie eine wichtige Landwirtschaftszone. Mit dem Wuchern der Stadt wurde die östliche Peripherie der Hauptstadt auch zu einem dicht bewohnten Siedlungsraum und zu einer wichtigen Gewerbezone. Nadir hatte seine Lagerhäuser dort.
Doch sie wurden zerstört, von al-Kaida, sagt Nadir. Fünf seiner Arbeiter seien getötet worden, die anderen seien in die Türkei geflohen. Lösegelderpresser hätten auch seinen ältesten Sohn als Geisel genommen. Sie verlangten 100'000 Dollar. Für 50'000 habe er ihn schliesslich freikaufen können. Nadir gibt auch dafür al-Kaida die Schuld.
Geblieben ist ein Verkaufsstand auf dem Markt
Er war Gewürzgrosshändler, in zweiter Generation. Sein Vater gründete vor 40 Jahren den Familienbetrieb. Er importierte aus Asien, exportierte in die Golfstaaten. Was ihm noch bleibt, ist sein Verkaufsstand und ein kleines Lager am Zablatanimarkt. Säcke voller Gewürze und Gewürzmischungen liegen in Regalen.
Immerhin, es ist wieder sicherer auf dem Markt. Seit März hält eine Waffenruhe für die Innenstadt. Draussen in der Ghouta allerdings gehen die Kämpfe weiter: Zwischen den Rebellen und der Armee, aber auch zunehmend zwischen rivalisierenden Rebellengruppen. Nadir sieht darin eine Hoffnung.
«Was hinter uns liegt, war schlimmer als was noch kommt», glaubt er. Und er setzt zu einer patriotischen Rede an, um Staatschef Assad zu rühmen – und Russland und Iran, die Syrien in diesem Kampf gegen ausländische finanzierte Terroristen zur Seite stünden. Neben Nadirs Gewürzstand stapeln sich die Orangenkisten, frisch aus Tartus an der syrischen Küste. Zwiebeln, Berge von Kohl, Tomaten, Olivenöl.
Unsichere Versorgungswege und Korruption
Die Versorgung der Hauptstadt klappt. Aber die Preise sind extrem gestiegen, sagt Mohammed. Auch er ist Händler, beliefert Läden und Restaurants mit Früchten Konserven, Milchprodukten. Der Krieg hat die Transportwege verlängert und verteuert. Die Grenze zu Jordanien ist zu, allenfalls etwas Schmugglerware kommt noch von dort. Die Grenze zur Türkei ist unter Kontrolle von Rebellen.
Ausländische Güter, die Damaskus erreichen sollen, müssen verschifft werden. Die Strasse zur Küste und zum Hafen von Latakya ist offen. Es ist eine Lebensader fürs Regime und die Hauptstadt. Andere Routen innerhalb Syriens sind wegen der Kämpfe unterbrochen oder unsicher und teuer.
Warlords fordern hohe Wegzölle oder lassen Ware verschwinden. Wie jene zehn Tonnen Kümmel, die der Gewürzhändler Nadir aus der Region Aleppo nach Damaskus bringen wollte. Dschihadisten hätten die Ladung gestohlen. Es sei sein letzter Versuch gewesen, aus dem Rebellengebiet Waren zu beziehen. Aber auch korrupte Beamte und regimetreue Milizen nehmen sich offenbar öfters ihren Teil.
Assads stärkstes Argument: Eine sichere Hauptstadt
Die Generatoren rattern. Die Stromausfälle häufen sich, die Elektrizitätsversorgung ist auf einem Bruchteil des Vorkriegsniveaus. Andererseits fahren auf der Ringstrasse vor dem Markt noch Busse, in der Innenstadt von Damaskus regelt die Polizei den Verkehr, zwischen den Checkpoints der Armee.
Mit iranischer Hilfe hält das Regime die Treibstoffversorgung aufrecht. Sogar die Müllabfuhr funktioniert. Und die Regierung bezahlt den Beamten auch im sechsten Kriegsjahr noch Löhne und Renten. Dass der syrische Staat normal funktioniere, ist Assads stärkstes Argument. Die Regierung verschuldet sich dafür immer tiefer.
Die Armut in der Bevölkerung wächst dennoch. Selbst das subventionierte Brot ist dreimal so teuer wie vor dem Krieg. Auch andere Grundnahrungsmittel kosten ein Mehrfaches. Das syrische Pfund hat gegenüber dem Dollar neun Zehntel seines Werts verloren. Auch Regierungszeitungen räumen ein, dass zwei volle syrische Beamtenlöhne nicht mehr ausreichen, um eine Familie über die Runden zu bringen.
Familienvater Aimad wird zu Almosenempfänger
Aimad hat gar keinen Lohn mehr. Das Zentrum von Damaskus ist voller Flüchtlinge. Der 50-jährige Familienvater ist einer davon. Er hatte Arbeit vor dem Krieg. Ein Haus in der Ghouta, nicht weit vom Zablatanimarkt. Jetzt liegt es direkt auf der Frontlinie.
Er kann nicht hin, weiss nicht was vom Haus übrig ist. Das Gebiet ist abgesperrt. Sicherheitszone, sagt die Armee. Aimad steht ganz im Süden der Innenstadt für Nahrungsmittelpakete an. Dort hat er mit seiner Frau und den drei halbwüchsigen Töchtern in der Wohnung der Schwiegereltern Unterschlupf gefunden.
Der Krieg hat den Familienvater zum Almosenempfänger gemacht. Alle zwei Monate erhält er ein Nahrungsmittelpaket: Zucker, Bulgur, Reis, Öl ein paar Konserven. Auf die Frage, wie er damit durchkomme, versagt dem Mann die Stimme. 40'000 Menschen sind alleine bei dieser Verteilstelle registriert. Andere sind schwer zu erreichen, sie leben hinter Frontlinien oder in belagerten Quartieren.
Das Welternährungsprogramm der UNO verteilt Nahrungsmittelhilfe an vier Millionen Menschen. Und es schätzt, dass insgesamt drei Viertel der syrischen Bevölkerung in der einen oder andern Form auf Unterstützung angewiesen sind – oder wären.