Nach Kobane wird nun in Tikrit, der Geburtsstadt des früheren Diktators Saddam Hussein, eine zweite symbolträchtige Schlacht gegen den IS geschlagen. Sie ist auch die Generalprobe für die Rückeroberung Mossuls, der zweitgrössten Stadt des Iraks und Machtbasis der Terrormiliz im Zweistromland. Das Ziel: Der IS soll ausgemerzt, seiner Rückzugsorte beraubt werden – und schliesslich ganz verschwinden. Najem Wali, ein in Berlin lebender irakischer Journalist und Schrifsteller, ist unbeeindruckt.
Die Militäraktion, die die irakische Armee gemeinsam mit schiitischen Milizen durchführt, verläuft insgesamt planmässig. Das sei alles wunderbar, sagt Wali – doch er schränkt ein: «Der IS hat immer einen Rückhalt.» Aus dem Niemandsland im westlichen Teil des Landes könne die Terrormiliz wieder auf Bagdad ziehen. «Sie sind wie Ratten», wählt Wali einen drastischen Vergleich: «Man bekämpft einzelne ihrer Löcher, dann kommen sie wieder aus anderen Löchern heraus.»
Einzelne Schlachten gegen die Terrormiliz lassen sich demnach durchaus gewinnen. Der Krieg gegen den «Islamischen Staat» werde aber nicht mit Waffengewalt entschieden, sondern am Verhandlungstisch: «Die sunnitische Bevölkerung im West-Irak muss in der Regierung angemessen vertreten sein, ihre Interessen dürfen nicht ignoriert werden.»
Das schiitische Verständnis von Demokratie als «Macht der Mehrheit» sei fehlgeleitet. «Demokratie bedeutet für mich Schutz der Minderheit – erst dieses Prinzip kann zu einem friedlichen Irak führen.»
Egal welche Waffen der IS hat, seine effizienteste ist der Mensch.
Und trotzdem: Der «Islamische Staat» scheint von allen Seiten unter Druck zu stehen. Der Iran beteiligt sich immer offener an den Kampfhandlungen, die US-geführten Luftangriffe werden mit unverminderter Härte weitergeführt, die Kurden stellen sich dem IS-Terror am Boden entgegen. Kann die Terrormiliz diesem Druck standhalten?
Auch hier will Wali kein reine militärischen Argumente gelten lassen. Die stärkste Schwächung für den IS sei momentan ziviler Art: «Egal welche Waffen der IS hat, seine effizienteste ist der Mensch. Wenn sein Rückhalt in der Bevölkerung in den besetzten sunnitischen Gebieten bröckelt, wird er geschwächt.»
Die Stärke des IS sei bei seinem Einzug nach Mossul gewesen, dass er sich als Wohltäter inszenierte. «Sie haben den Menschen all das angeboten, was ihnen fehlte. Nach einigen Monaten zeigte der IS dann sein wahres, grausames Gesicht.»
Der IS hat den Menschen all das angeboten, was ihnen fehlte. Nach einigen Monaten zeigte er dann sein wahres, grausames Gesicht.
Um den IS endgültig zu besiegen, sei schliesslich auch der Westen, vorab die USA, gefragt. Nicht etwa mit einer Intensivierung der militärischen Aktivitäten, sondern ganz im Gegenteil mit einer «Entmilitarisierung» der Region: «Es ist unsinnig, mehr Luftangriffe und Waffenlieferungen zu verlangen. Wenn der Westen wirklich an einer Friedenslösung interessiert ist, muss der Zustrom an Waffen trocken gelegt werden.»
Im ganzen Land wimmle es von Waffen, bei jeder Fraktion, in jedem Haushalt. US-Präsident Barack Obama habe sein Volk auf einen jahrelangen Kampf gegen den IS eingeschworen, blickt Wali zurück. Und genau das dürfte eintreten, sollte der Westen seiner bisherigen Strategie zur Befriedung des Irak treu bleiben, prognostiziert Wali.