Zum Inhalt springen

International Marsch von Idomeni: Höchst gefährlich – und wirkungslos?

Hunderte Flüchtlinge aus dem Lager Idomeni haben es über halsbrecherische Schleichwege bis nach Mazedonien geschafft – doch dort ist Endstation. Soldaten haben die Verzweifelten aufgegriffen. Was genau passiert nun mit diesen Menschen? Einschätzungen der Journalistin Corinna Jessen.

SRF News: Nach dem Marsch von Idomeni: Was weiss man konkret über das Schicksal der aufgegriffenen Flüchtlinge?

Corinna Jessen: Wo genau sie sich im Augenblick aufhalten, ist nicht bekannt. Wir wissen aber, dass sie alle nach Griechenland zurückgebracht werden sollen. Sie haben sich also dieser Strapaze im Prinzip umsonst unterzogen, als sie gestern Mittag aus Idomeni in ein fünf Kilometer entferntes Dorf marschiert sind, um dort einen Arm des Grenzflusses zu überqueren.

Diese Menschen haben sich bei starkem Wind und Kälte durch das reissende Wasser gehangelt mit Babys und Kleinkindern auf dem Arm. Mit Alten und Gebrechlichen haben sie an einem gespannten Seil den Fluss überquert. Es war ein höchst gefährliches Unterfangen. Denn schon am Morgen zuvor waren bei einem ähnlichen Versuch an anderer Stelle drei Afghanen ums Leben gekommen.

Woher kannten die Flüchtlinge diese Lücke in der Grenze – von Schleppern?

Im Lager von Idomeni war gestern ein Flugblatt in arabischer Sprache mit dem Aufruf aufgetaucht, massenhaft um 14 Uhr Ortszeit den Aufbruch zu wagen. Deutschland – so hiess es darin – nehme weiterhin Flüchtlinge auf. Man müsse nur den Grenzzaun umgehen. Alle, die aber in Griechenland bleiben würden, würden dagegen in die Türkei abgeschoben. Auf dem Flugblatt war ausserdem eine detaillierte Skizze des gefährlichen Weges bis zum Ende des Zaunes eingezeichnet. Die Herkunft dieses Flugblattes ist bisher nicht geklärt. Natürlich wirft sie viele Fragen danach auf, wem eine solche Falschmeldung nützen könnte. Denn jedem muss klar gewesen sein, dass die Flüchtlinge nicht so weit kommen konnten.

Was passiert jetzt mit diesen paar hundert aufgegriffenen Flüchtlingen?

Die festgenommenen Flüchtlinge werden nach Griechenland zurückgebracht. Die ungefähr 30 Journalisten konnten gegen eine Strafe von 250 Euro für den illegalen Grenzübertritt bereits zurückkehren. Alle werden heute berichten, dass der Versuch gescheitert und die Grenze tatsächlich dicht ist. Vielleicht überzeugt das einige der Verzweifelten, dem Aufruf der griechischen Behörden zu folgen, das katastrophale Notcamp Idomeni freiwillig zu verlassen und sich in Auffganglager im Innern des Landes bringen zu lassen

Es gab bereits Vorwürfe ausländischer Medien, Griechenland selbst habe die Flüchtlinge Richtung Mazedonien getrieben. Das hat die Athener Regierung aufs Schärfste zurückgewiesen. Die griechische Polizei hat zudem versucht, die Menschen verbal vom Grenzübertritt abzuhalten, aber keine Gewalt angewendet. Auch soll weiterhin keine Gewalt angewendet werden, die Flüchtlinge aus Idomeni in andere Lager zu bringen.

Corinna Jessen

Box aufklappen Box zuklappen
Corinna Jessen bei TV-Schaltung nach Athen mit Mikrofon.

Corinna Jessen ist freie Journalistin in Athen, Korrespondentin für mehrere deutschsprachige Tageszeitungen und Mitarbeiterin des ZDF. Sie ist in Athen geboren und aufgewachsen. Studiert hat sie in Deutschland.

Gibt es denn diese anderen Lager schon? Wir sprechen ja von über 50'000 Flüchtlingen, die in Griechenland festsitzen.

Diese anderen Lager entstehen allmählich an verschiedenen Orten überall im Land. Sie sind mit den nötigsten Strukturen ausgestattet wie Toiletten, Duschen, Betten. Ausreichend ist dies noch lange nicht.

Es gibt aber noch ein anderes Problem: Die meisten Lager liegen isoliert und völlig abseits der Flüchtlingsroute gen Norden. Daher weigern sich die meisten Flüchtlinge bisher, sich dorthin bringen zu lassen. Stattdessen hausen sie notdürftig in den völlig überfüllten Notunterkünften in und um Athen.

Oder sie zelten einfach auf dem Hafengelände von Piräus – in der Hoffnung, von dort aus irgendwie weiterzukommen. Die Zustände dort sind entsetzlich. Die Menschen können sich nicht waschen, es gibt nicht genug zu essen, und der anhaltende Regen hat die Zelte unter Wasser gesetzt.

Genau vor diesen Bildern hat die deutsche Kanzlerin Merkel ja gewarnt. Setzt Griechenland darauf, dass das Flüchtlingselend die widerstrebenden EU-Länder beim bevorstehenden Gipfel am Donnerstag zum Umdenken bringt?

Dieser Hoffnung nach einer gemeinsamen Lösung mit der Türkei wird ständig Ausdruck verliehen. Auch unter den Flüchtlingen besteht teilweise noch die Hoffnung, dass der Gipfel ihre Situation verändern könnte. Aber eine Umverteilung auf die übrigen EU-Länder über eine Kontingentslösung wird dauern. Der Flüchtlingskoordinator der griechischen Regierung hat gestern schon davon gesprochen, dass viele Flüchtlinge vielleicht bis zu zwei Jahre in Griechenland ausharren könnten. Damit wäre das krisengeschüttelte Land sicherlich überfordert.

Aber wie gering das Interesse der übrigen EU-Länder ist, sich das Problem vor die eigene Tür zu holen, haben die Griechen am Verhalten eines der vermeintlich engsten Verbündeten erleben müssen: Italienische Carabinieri sind bereits an der albanisch-griechischen Grenze im Einsatz, um zu verhindern, dass sich eine Alternativroute über Albanien und weiter über das italienische Bari etabliert.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

Meistgelesene Artikel