Ein kalter Wintermorgen im südtürkischen Gaziantep, keine halbe Stunde von der syrischen Grenze entfernt. Die Männer, die in aller Frühe neben einer Tankstelle im Gras sitzen, reiben frierend die Hände aneinander und warten auf Arbeit. Manchmal bekämen sie einen Job, als Lastenträger zum Beispiel, manchmal auch nicht, sagt einer von ihnen. «In Syrien war ich Bauer. Hier in der Türkei tue ich alles, was man von mir will, um zu überleben.»
20 bis 30 Lira Lohn zahlen die Türken für einen Tag Schwerstarbeit. Der Syrer schnaubt. Weniger als 10 Franken, das reiche auch in der Türkei nicht, um eine Familie zu ernähren.
Grosse Gastfreundschaft
Auch wenn sich diese Tagelöhner bitter beschweren. Die Gastfreundschaft der Türkei gegenüber den Syrern ist enorm. Fast zweieinhalb Millionen Flüchtlinge hat sie in den letzten Jahren aufgenommen. Das ist mehr als ganz Europa zusammen. Etwa zehn Prozent davon werden in Flüchtlingslagern versorgt, der Rest schlägt sich so durch.
Allein in Istanbul sollen inzwischen mehr als 500'000 Syrer leben. Geht es nach einem am Sonntag in Brüssel ausgehandelten Abkommen, könnten es bald noch viel mehr werden. Mit den drei Milliarden Euro, welche die EU der Türkei darin verspricht, sollen riesige neue Lager entstehen.
Gute Bedingungen
«Ich wäre ein glücklicher Mann, wenn wir allen Flüchtlingen in der Welt Bedingungen geben könnten, wie sie die türkische Regierung großzügig bietet», lobte UNO-Flüchtlingskommissar António Guterres die türkischen Camps in den vergangenen Jahren mehrfach. Dennoch reißt der Strom derer nicht ab, die sich auf die oft lebensgefährliche Reise in die EU machen. Dass weitere Lager daran etwas ändern werden, bezweifelt fast jeder, der am Bosporus mit Flüchtlingen zu tun hat.
Nur eine Zwischenlösung
Integration statt weiterer Lager und Zäune fordert deshalb Ahmet Icduygu, Professor für Migrationsforschung an der Koc-Universität in Istanbul. Umfragen seines Instituts zeigen: Auch wenn die Syrer in der Türkei nicht hungern müssen, solange sie keine wirkliche Perspektive haben, werden sie weiter von Europa träumen.
Das tun auch die Tagelöhner, die allmorgendlich an der Tankstelle im südtürkischen Gaziantep auf Arbeit hoffen. Er habe vor drei Tagen versucht, nach Europa zu kommen, sagt einer. Leider hätten ihn die türkischen Soldaten erwischt. Erst nach vier Tagen seien sie wieder frei gekommen. «Aber egal, wie gefährlich es ist: Sobald ich kann, werde ich es wieder versuchen.»