Sie leben in armseligen Zelten und riskieren ihr Leben, um irgendwie von Frankreich nach Grossbritannien zu gelangen. Doch dort will man die Migranten aus Calais nicht haben. Stattdessen schieben sich die Politik und der Tunnelbetreiber gegenseitig die Verantwortung zu – für ein sich zusehends verschärfendes Problem, das einer dringlichen Lösung harrt.
Grossbritannien setzt angesichts des Flüchtlingsdramas von Calais auf Abschreckung und eine härtere Einwanderungspolitik. «Wir werden mehr illegale Migranten aus unserem Land abschieben, damit die Leute wissen, dass es kein sicherer Hafen ist, wenn man mal da ist», sagte Premierminister David Cameron. Es würden bereits Gesetze verabschiedet, um das Bleiben der Migranten zu erschweren.
Weiteres Todesopfer
Am Vorabend hatten erneut Hunderte versucht, vom französischen Calais aus durch den Eisenbahntunnel unter dem Ärmelkanal Grossbritannien zu erreichen. Laut Behördenangaben ist ein Flüchtling indessen gestorben, der sich am Wochenende schwere Kopfverletzungen zugezogen hatte – beim Versuch, auf einen Zug nach Grossbritannien zu gelangen. Insgesamt sind damit seit Anfang Juni bereits zehn Flüchtlinge auf der französischen Seite des Ärmelkanals ums Leben gekommen.
Am Mittwoch erlitt überdies ein 17-jähriger Ägypter am Pariser Nordbahnhof einen lebensgefährlichen Stromschlag. Er wollte auf das Dach eines Eurostar-Zugs aufspringen, der in Richtung Grossbritannien abfuhr. Der Jugendliche schwebt nach Polizeiangaben weiter in Lebensgefahr.
Grossbritannien und Frankreich beschwören Zusammenarbeit
Angesichts der angespannten Lage in Calais wollen Frankreich und Grossbritannien die Sicherheitsmassnahmen verstärken. Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve genehmigte am Mittwoch die Entsendung von zusätzlichen 120 Polizisten nach Calais.
Die britische Innenministerin Theresa May hat derweil umgerechnet rund 10 Millionen Euro in Aussicht gestellt, um die Grenze zu sichern. Und der britische Premier Cameron gab schliesslich an, regelmässig mit dem französischen Präsidenten die prekäre Lage zu besprechen.
Eurotunnel zur Verantwortung aufgerufen
Der Tunnelbetreiber Eurotunnel hat in diesem Jahr auf der französischen Seite bereits mehr als 37'000 Migranten gezählt, die versucht haben, die Grenze illegal zu überqueren. Vergangene Woche forderte das Unternehmen zusätzliche Millionen von Grossbritannien und Frankreich wegen Beschädigungen etwa an Zäunen.
Der französische Staatssekretär für die Beziehungen zum Parlament, Jean-Marie Le Guen, rief dagegen Eurotunnel im französischen Fernsehen zur Verantwortung. «Unternehmen müssen sich um ihre Umgebung kümmern. Eurotunnel hat vor einigen Jahren aktiver gehandelt als jetzt.»