US-Präsident Präsident Barack Obama steht unter Druck: Nicht nur wegen der NSA-Abhöraktionen, sondern auch wegen des Drohnenkrieges und seines nicht eingelösten Versprechens aus dem ersten Wahlkampf, das Gefangenenlager Guantánamo zu schliessen. Für viele ist er zum Feindbild geworden.
Thomas Drake war ein Whistleblower im Geheimdienst NSA lange vor Edward Snowden. Obama habe das geheime Überwachungsprogramm von George Bush übernommen und ausgebaut, sagt Drake zur «Rundschau». Dass Obama früher Bürgerrechts-Anwalt war und Verfassungsrecht dozierte, spiele keine Rolle: «Macht verführt, und Obama hat sich in die Geheimniskrämerei verliebt.»
Obama-Regierung klagt Drake als Spion an
Nach 9/11 fiel dem leitenden Geheimdienstangestellten Drake auf, dass die Regierung Bush Telefongespräche von Amerikanern ohne gerichtliche Bewilligung abhörte, was illegal war. Als seine Reklamation weder intern noch von Kongressmitgliedern gehört wurde, wandte er sich an die Presse.
In der Folge wurde sein Haus von FBI-Beamten durchsucht. Die Regierung Bush habe ihn aber nicht strafrechtlich verfolgt. Das passierte erst unter dem neuen Präsidenten Obama: Noch vor Bradley Manning wurde Drake im April 2010 aufgrund des Spionage-Gesetzes angeklagt, ohne ein Spion zu sein. 35 Jahre Gefängnis drohten ihm. Drake: «Obama wollte ein möglichst abschreckendes Beispiel an mir statuieren. Ich wurde Staatsfeind und Verräter genannt.»
Gebrochene Wahlversprechen
Die Anklage steht im Widerspruch zu Obamas Wahlversprechen von 2008, er wolle Whistleblower schützen, die auf Missbrauch und Betrug in der Regierung aufmerksam machten. Vor Gericht fiel die Klage wegen Spionage in sich zusammen: Drake wurde nur in einem Nebenpunkt wegen Zweckentfremdung eines Computersystems verurteilt.
«Ich habe einen aussergewöhnlich hohen Preis bezahlt», sagt Drake, der heute in einem Computershop als Verkäufer arbeitet. Fast sei seine Ehe zerbrochen, und seit dem Gerichtsprozess sei er tief verschuldet.
Obama-Regierung stellt 25% mehr Überwachungsgesuche
Die Kritik am Überwachungsprogramm konterte Obama damit, der Kongress werde laufend informiert, und Bundesrichter kontrollierten das Programm. Das Gericht, das über die NSA-Anfragen zur Spionage entscheidet, fällt seine Urteile aber im Geheimen. Verglichen mit den letzten vier Amtsjahren der Bush-Regierung sind die Anfragen der NSA unter Obama um 25 Prozent gewachsen.
Seit 2009 hat das Gericht von über 131'000 Anfragen gerade mal eine abgelehnt. Und die gerichtliche Bewilligung braucht es nur, um amerikanische Bürger auszuspionieren. Fürs Ausland gibt es keine Gesetze, die NSA agiert nach eigenem Gutdünken, wie der Fall Merkel zeigt.
Ex-Chefankläger: «Obama könnte Guantánamo morgen schliessen»
Obama wolle um jeden Preis vermeiden, als schwach im Kampf gegen Terror zu gelten, sagt Morris Davis, ehemaliger Chefankläger auf Guantánamo. Bei seinem Amtsantritt 2009 hatte Obama versprochen, das Lager innert eines Jahres zu schliessen.
Elf Jahre nach der Eröffnung von Guantánamo und im fünften Amtsjahr von Obama sitzen aber noch immer 153 Männer ohne Anklage auf Kuba fest. Das habe der Kongress zu verantworten, sagte Obama wiederholt. Oberst Morris Davis widerspricht: «Bush wie Obama betonten immer, dass sie die Oberbefehlshaber des Landes sind. Sie haben die alleinige Verfügungsgewalt über Fragen der nationalen Sicherheit».
Wenn Obama mit seiner Tötungsliste mutmassliche Terroristen mit Drohnen angreifen könne, könne er per Exekutivbefehl auch die Schliessung des Gefangenenlagers anordnen. Politisch aber sei das nicht opportun, «und die Häftlinge auf Guantánamo haben keine Lobby.»
Obama setzt sechsmal mehr Drohnen ein als Bush
Ebenso geheim wie die Überwachung ist auch Obamas Drohnenkrieg: Die unbemannten raketenbestückten Flugzeuge haben das Gefangenenlager Guantánamo ersetzt. Mutmassliche Terroristen werden nicht mehr verhaftet, sondern aus der Luft getötet.
Seit seinem Amtsantritt 2009 hat Obama sechsmal mehr Drohnen eingesetzt als sein Vorgänger. Völkerrechtlich ist das hoch umstritten. Weil die CIA das Programm im Geheimen betreibt, hat die Weltgemeinschaft keine Kontrolle.
«Rundschau»-Recherchen zeigen: Auch die Drohnen-Piloten, die die Flieger von US-Militärbasen aus steuern, haben keine Ahnung, wen sie in Pakistan töten. «Es ist nicht an mir, das zu wissen», sagt die ehemalige Drohnenoperateurin Lynn Hill.
Ihr Team habe auch keine Information zur Zahl der getöteten Zivilisten gehabt. Gemäss den Vereinten Nationen ist rund jeder fünfte Drohnentote in Pakistan ein Zivilist. Präsident Obama weigert sich, die genauen Zahlen bekannt zu geben – aus Gründen der nationalen Sicherheit, wie er sagt.