Vor zehn Jahren geschah in Kuba das Undenkbare. Nach einem halben Jahrhundert an der Macht übergab der sterbenskranke Fidel Castro das Zepter an seinen fünf Jahre jüngeren Bruder Raúl. Bis heute hüllt sich das Regime in Schweigen über den Gesundheitszustand des «Máximo Líder». Die öffentlichen Auftritte des mittlerweile 89-jährigen Revolutionsführers sind selten geworden, aus dem politischen Tagesgeschäft hat er sich längst verabschiedet.
Von einem eigentlichen Jubiläum lässt sich angesichts des unfreiwilligen Machtwechsels in Havanna also kaum sprechen. «Fidels Erkrankung war ein tragisches Ereignis», sagt die Journalistin Sandra Weiss. Gefeiert werde dieser Tage aber trotzdem, nämlich der 26. Juli – der Jahrestag des Überfalls auf die Moncada-Kaserne, mit dem die Revolution begann.
Inselstaat im Umbruch
Doch der Machtwechsel hat Spuren hinterlassen. Seit einigen Jahren ist die sozialistische Karibikinsel im Umbruch. Die Regierung von Präsident Raúl Castro regiert zwar noch immer mit harter Hand, aber zögerlich räumt sie den Bürgern immer mehr Freiheiten ein. «Unter Raúl wurden Wirtschaftsreformen begonnen, die von langer Hand vorbereitet waren», sagt Weiss.
Diese seien aber immer wieder ausgebremst worden – denn sie waren nicht nach dem Gusto von Fidel und konservativer Parteikader. Im Innern des Machtapparats werde hitzig darüber debattiert, ob die Wirtschaftsreformen neue Ungleichheit schafften – und damit das Erbe der Revolution verraten.
Rund 500'000 der elf Millionen Kubaner sind mittlerweile im aufstrebenden Privatsektor beschäftigt. Die Menschen dürfen mit Immobilien handeln und kleine Geschäfte wie Restaurants und Werkstätten betreiben.
Diplomatische Annäherung an den Erzfeind
Der bemerkenswerteste Wandel der Ära Raúl Castro bleibt, aus weltpolitischer Sicht, die diplomatische Annäherung an den einstigen Erzfeind USA. Diese wäre nach Einschätzung von Weiss mit dem betagten Hardliner an der Spitze nicht möglich gewesen – der Pragmatiker Raúl scheint auch hier einen sanften Wandel vorangetrieben zu haben.
Von Zeit zu Zeit nimmt Fidel Castro in seinen so genannten «Reflexiones» in der Parteizeitung «Granma» noch Stellung zum Weltgeschehen. Dort kann sich der fast 90-Jährige den einen oder anderen Seitenhieb nicht verkneifen. Nach dem historischen Besuch von US-Präsident Barack Obama in Havanna schrieb er: «Wir brauchen keine Geschenke vom Imperium.»
Wer übernimmt?
Zehn Jahre nach dem Rücktritt von Fidel bleibt aber die grosse Frage: Was geschieht, wenn die Familie Castro endgültig die Macht in Kuba abtritt? Raúl Castro hat angekündigt, 2018 als Staatschef aufzuhören. «Am letzten Parteikongress vor ein paar Monaten gab es aber keinen Aufschluss darüber, wer ihn letztlich beerben soll», sagt Weiss.
Die alte Garde sei noch einmal in ihren Ämtern bestätigt worden, aber darüber hinaus herrsche Unklarheit. Das Militär und die kommunistischen Parteikader dürften also weiterhin die Zügel in der Hand behalten und eine gewisse Kontinuität gewährleisten. Auf Raúl Castro könnte nach Einschätzung von Beobachtern Vizepräsident Miguel Díaz-Canel folgen, der sich schon seit Jahren auf das Amt vorbereitet.