SRF: War das für Sie überraschend, dass Saudi-Arabien bei der Allianz gegen den IS mitzieht?
Anna Sunik: Es war keine Überraschung. Früher oder später musste Saudi-Arabien zur Einsicht kommen, dass wieder einmal ein «Al Kaida Reloaded» geschehen ist und dass die Saudis wieder ein Frankenstein-Monster erschaffen haben, das sich jetzt gegen sie wendet. Dies vor allem seitdem der IS klare Drohungen gegen Saudi-Arabien ausgesprochen hat. Das ist eine existentielle Bedrohung für das Land.
In welcher Form beteiligt sich das Land – leistet es auch militärische Hilfe?
Saudi-Arabien hat zuerst auf sehr niedriger Schwelle angefangen, sich zu beteiligen, indem es die Flut an Dschihadisten, die nach Syrien wollten, mit gesetzlichen Mitteln stoppte. Vorher war das erlaubt. Es wurde das Bewusstsein dafür geschaffen, dass sich da ein Problem anbahnt. Das schlug dann in diplomatische Unterstützung für die internationale Operation, die von den USA angeführt wird, um. Militärische Hilfe ist wenig wahrscheinlich. Aber vor einiger Zeit wurden zumindest Truppen an die saudisch-irakische Grenze entsandt. Das kann sich weiter entwickeln.
Wie sieht denn die Strategie Saudi-Arabiens im Kampf gegen den IS aus?
Saudi-Arabien war ungefähr seit 2011, als die arabischen Aufstände begannen, in einer Art Schockstarre und hat sich von Katar überholen lassen, was die Regionalmachtstellung und den aussenpolitischen Aktivismus in der Region angeht. Aber das Land hat spätestens ab 2013 damit angefangen, seine Rolle als Regionalmacht wieder zurückzugewinnen und zu versuchen, wieder stärker auf die Geschehnisse Einfluss zu nehmen. Zu Beginn war Saudi-Arabien sehr stark gegen die Umstürze in der arabischen Welt. Als aber die Aufstände in Libyen und Syrien losgingen, war das auch eine Chance für die Saudis, diese Machtposition wieder einzunehmen. Und zwar auf der Seite der Aufständischen in Syrien, weil das Regime unter Baschar al-Assad ein Verbündeter des Iran ist und damit ein Problem für Saudi-Arabien darstellt. Nun werden die Feinde Assads aber zunehmend zu einem saudischen Problem.
Führt der Kampf gegen den IS zu einer Aufweichung der Feindschaft zu Teheran?
Es lässt sich im Interesse aller Beteiligten hoffen, dass dieses gemeinsame Problem die beiden Länder zusammenschweisst. Aber jegliche Annäherung – die diplomatische Annäherung passiert ja bereits – wäre nur temporär. Spätestens wenn der IS aufhört, eine Bedrohung zu sein, wird sich der Ton zwischen den beiden Ländern wieder verschärfen.
Saudi-Arabien gilt als Exportland islamistischer Fundamentalisten. Es hat geholfen, sie gross zu machen. Jetzt steht es im Kampf gegen sie – wie geht das auf?
Es war wenig überraschend, weil genau das gleiche ja schon passiert ist mit den Mudschaheddin in Afghanistan, die von Riad gefördert wurden. Aus diesen Mudschaheddin entwickelte sich später die Keimzelle der Al Kaida, die sich dann gegen das Königreich selbst richtete. Genau das gleiche haben wir mit diversen radikal-salafistischen und dschihadistischen Gruppen gesehen. Von denen hat ein Teil den IS gegründet, um sich gegen andere Regimes, die der IS als «ungläubige Regimes» ansieht, wendet. Unter diesen «ungläubigen Regimes» ist auch Saudi-Arabien.
Riad geht mit Repression gegen die Terroristen im eigenen Land vor – mit welchem Erfolg?
Zum einen ist das richtig, zum anderen besteht das Problem auch darin, dass es eine sehr starke ideologische Affinität gibt zwischen dem Staatssalafismus, in Saudi-Arabien also dem Wahhabismus, und den salafistisch-dschihadistischen Gruppen, denen der IS angehört. Man sieht das zum Beispiel daran, dass IS-Milizen in dem Gebiet, das sie beherrschen, saudische Schulbücher mit Schriften von Muhammad al-Wahhab verteilen, dem Begründer des Wahhabismus. Das bedeutet, das die Basis des Glaubens von Saudi-Arabien nicht bekämpft werden kann, weil sie gleichzeitig die Basis der Staatsreligion des Landes ist. So ist auch zu erklären, dass in der Anfangszeit eben auch extrem salafistische Gruppen gefördert und finanziert wurden und man Kämpfer exportiert hat. Viele Saudis sind ausgereist sind und stellen jetzt Teile dieser IS-Truppen.
Das Gespräch führte Simone Fatzer.