Jumana hält ihren drei Monate alten Jungen im Arm. Sie selber ist 15, vor einem Jahr hat sie den 20-jährigen Walid geheiratet. Er stammt aus dem gleichen Dorf in Syrien wie sie, es liegt südlich von Aleppo. Seit längerem aber leben sie bei Tyros in Südlibanon.
Das junge Flüchtlingsehepaar wohnt mit dem Säugling in einer zweigeteilten Garage, notdürftig eingerichtet. In der anderen Hälfte des Raums lebt Walids Bruder mit seiner Frau und deren drei Kindern. Die Verhältnisse in der kleinen Flüchtlingsgemeinschaft sind beengt.
Frühe Heirat hat Tradition
Warum haben Jumana und Walid so früh geheiratet? «Das liegt in der Tradition», sagen beide knapp. Tatsächlich liegt das offizielle Heiratsalter in Syrien für Frauen bei 17 Jahren, für Männer bei 18. Ausnahmen werden jedoch geduldet. Vor allem in den konservativen, mehrheitlich sunnitischen Landgebieten kommen sie vor.
Es sind jene Regionen, in denen die Rebellion gegen Staatschef Assad ihren Nährboden hatte. Dort waren die Kämpfe und das Bombardement besonders heftig, besonders viele Menschen flohen von dort.
Mehr Minderjährige verheiratet
Mit den Flüchtlingen aus Syrien stieg in den Nachbarländern auch die Zahl der frühen Eheschliessungen, wie die UNO beobachtet. Ihre Untersuchung aus dem letzten Jahr legt nahe, dass in Jordanien im Verhältnis doppelt so viele Syrerinnen als Minderjährige heiraten wie vor dem Krieg. Für Libanon stellen die Hilfswerke einen ähnlichen Trend fest. Viele heiraten mit 16 oder 17 Jahren, manche sogar schon mit 14 – wie Jumana. Offenbar brachten die Flüchtlinge ihre archaischen Traditionen aus Syrien mit.
Das allein erkläre den Anstieg aber nur zum Teil, sagt Dalia Abu al Hija von Terre des Hommes, einer der Hilfsorganisationen, die im Süden Libanons aktiv sind. Die extrem schwierigen Lebensbedingungen der Flüchtlinge in der Fremde befördern den Trend zusätzlich: «Manche Familien sehen die frühe Verheiratung ihrer Töchter als Teil einer Überlebensstrategie», sagt sie.
Hilfsorganisationen sind besorgt
Es gibt kaum Arbeit, keine weiterführenden Schulen, das nimmt den Jugendlichen alternative Perspektiven. Viele leben in miserablen Unterkünften, auf engstem Raum, unter Fremden. Die fehlende Privatsphäre setzt besonders die Mädchen Gefahren aus. Ihre Verheiratung erscheint da vielen als Ausweg aus der Misere. Die Familien erhoffen sich davon Schutz vor Ausbeutung, vor Ehrverlust und wirtschaftlicher Not.
Die Hilfsorganisationen versuchen, gegen die Frühehen anzureden. Sie argumentieren mit Gesundheitsrisiken, Selbstbestimmung und Kinderrechten. Oder mit der Gefahr, dass die Mädchen erst recht in einen Teufelskreis von Abhängigkeit und Armut geraten.
Die Zeiten ändern sich
Auch Scheich Hassan ist besorgt. Er ist Imam einer grossen Moschee in Tyros. Doch: Hat nicht der Prophet selber seine Lieblingsfrau schon im Kindesalter geheiratet? Der Scheich lässt das Argument nicht gelten. Er antwortet mit einem Bild: «In Mekka hatten die Menschen zur Zeit des Propheten auch keine Klimaanlagen. Heute würden sie das gar nicht mehr aushalten.» Was der sunnitische Würdenträger sagen will: Die Zeiten ändern sich.
Szenenwechsel: Die humanitären Organisationen versuchen auch über den Erfahrungsaustausch das Bewusstsein für das Problem zu schärfen. So organisieren sie etwa Diskussionsrunden unter Frauen – auch in einem Dorf bei Tyros. «Ich habe selber auch früh geheiratet, wünsche mir aber, dass meine Tochter nicht den gleichen Fehler macht», sagt eine der Teilnehmerinnen. Doch die Tradition ist stark und stabile Alternativen können die Hilfswerke kaum anbieten.
Das kann freilich auch Walid, der Ehemann von Jumana, nicht. Und er ist sich dessen sehr wohl bewusst. Der syrische Flüchtling findet bestenfalls Gelegenheitsjobs in den Organgenplantagen, er hat kaum Geld. Dennoch seien sie glücklich gewesen bei der Heirat, sagt Jumana. Doch die grosse Verantwortung als Frau und Mutter mache ihr schon zu schaffen, sagt die 15-Jährige auch noch.