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International Serbien und Kosovo: «Annäherung» mit vielen offenen Fragen

Im Bestreben nach baldigen EU-Beitrittsverhandlungen schalten Serbien und Kosovo jetzt auf Normalisierung. EU-Aussenbeauftragte Mogherini spricht von einem richtungsweisenden Verhandlungserfolg. Doch noch ist viel offen, vor allem bezüglich der künftigen Rechte der serbischen Minderheit im Kosovo.

EU-Flagge überdeckt Serbiens Flagge.
Legende: EU-Beitrittskandidat Serbien gefordert: Ohne Lösung im Kosovo-Konflikt gibt es keine Verhandlungen. Reuters/Archiv

Serbien und Kosovo hätten einen Schritt in Richtung einer normalen Beziehung zueinander gemacht, teilte die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini nach Gesprächen mit den Regierungschefs beider Länder in Brüssel mit.

Der Verhandlungserfolg sei «richtungsweisend». Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vucic sprach im heimischen Fernsehen umgehend von umfassenden Befugnissen für die serbische Minderheit im Kosovo.

So gerne man daran glauben würde, der angeblich richtungsweisende Verhandlungserfolg sei zu bezweifeln, relativiert SRF-Mitarbeiter Walter Müller in Belgrad die neueste Entwicklung. Zum einen sei noch gar nicht klar, was in den besagten Abkommen stehe. Zum anderen hätten sich Belgrad wie auch Pristina letzte Nacht zum Sieger erklärt, behaupteten jedoch in Bezug auf die Abkommen genau das Gegenteil.

Walter Müller

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Walter Müller war von 1995 bis 2001 Produzent beim «Echo der Zeit». Danach bis zu seiner Pensionierung 2015 Südosteuropa-Korrespondent auf dem Balkan. Seither berichtet Müller für Radio SRF als freier Mitarbeiter aus der serbischen Hauptstadt Belgrad.

Im Nord-Kosovo feierten die Serben letzte Nacht gemäss Müller bereits heftig mit Umzügen und Feuerwerk. In der Hauptstadt Pristina wie auch in Belgrad fielen die Reaktionen noch sehr zurückhaltend aus.

Gemeindeverband – nur ein Verein?

Von allen vier Abkommen ist dasjenige über den serbischen Gemeindeverband im Kosovo das wichtigste. Hier wird darüber gestritten, wie viele Kompetenzen dieser Verband eigentlich erhalten soll. Dass die Kosovo-Albaner mit Sicherheit keinen Staat im Staat haben wollen, machte Ministerpräsident Isa Mustafa bereits deutlich: Es sei abgemacht, dass der Gemeindeverband keine Exekutivkompetenzen haben, sondern wie ein Verein sein werde.

Die Oppositionsparteien im Kosovo schreien jedoch auf. Sie behaupten, gestern sei der Kosovo entlang der ethnischen Linie aufgeteilt worden.

Klar ist laut Müller aber bisher einzig, dass gemäss Abkommen das Reglement für den Gemeindeverband in den nächsten vier Monaten ausgearbeitet werden soll. Somit werde über den serbischen Gemeindeverband noch lange gestritten werden, womit das gestrige Abkommen wohl eher ein «Scheinabkommen» sei.

Nur auf Druck der EU

Die Vereinbarung just zum jetzigen Zeitpunkt hängt laut Müller damit zusammen, dass Pristina wie auch Belgrad Erfolge vorweisen müssen, wenn sie auf den Weg in die EU vorwärtsmachen wollen. Belgrad ist bereits EU-Beitrittskandidat, konnte die Verhandlungen aber noch nicht beginnen. Denn vor allem Deutschland pocht vor allfälligen Beitrittsverhandlungen auf den Abschluss aller Abkommen zwischen Serbien und Kosovo.

Dem Buchstaben nach haben Belgrad und Pristina diese Bedingungen gestern erfüllt. Insbesondere Belgrad beharrt nun darauf, dass bis spätestens Ende Jahr die EU mit den Verhandlungen beginnen müssten.

Doch zuerst müssen nun die Abkommen umgesetzt werden, und der Teufel liegt im Detail. Etwa bei der Frage, ob der Kosovo nun wirklich eine eigene internationale Telefonvorwahl bekommt und wie das geregelt wird.

Im Kosovo werde die Opposition auf die Strasse gehen und mit allen Mitteln gegen den serbischen Gemeindeverband kämpfen, prognostiziert Mülller: «Das kann im Kosovo zur politischen Zerreissprobe werden.» Mit anderen Worten: Ein Schritt in Richtung Annäherung zwischen Belgrad und Pristina wurde wohl gemacht. Gestritten und unterschiedlich interpretiert wird aber noch ganz lange.

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