SRF News: Deutschland empört sich über die BND-Affäre. Sie finden Spionage unter Freunden normal, seitens der deutschen Regierung sprechen Sie von einem «korrekten und klugen politischen Verfahren». Warum das?
Sandro Gaycken: Man muss sehen, dass solche Spionage-Vorfälle in Deutschland und Europa völlig alltäglich sind. Auch die «Freunde», insbesondere die USA, möchten kontrollieren, ob irgendwelche komischen Rüstungsgeschichten laufen – aus Europa in den Iran, nach Russland oder China. Sie wollen auch wissen, welche Politiker vielleicht involviert sind in bestimmte sicherheitspolitische Entscheidungen. Gerade in Deutschland wissen wir, dass etwa Ex-Kanzler Schröder einer der grossen Kumpel von Putin ist. Während die Ukraine angegriffen wurde, hat er seinen 70. Geburtstag mit seinen Freunden in St. Petersburg gefeiert...Das sind Sachen, die sicherheitspolitisch relevant und daher berechtigte Ziele für Spionage sind.
Es gab eine Abmachung: 2002 hat der Bundesnachrichtendienst gesagt, er unterstütze die USA im Kampf gegen den Terror. Heute schreibt der «Spiegel», dass es mindestens 12'000 Suchbegriffe mit der Endung «diplo» und «gov» (Anm. d. Red.: government, zu deutsch: Regierung) gab. Das waren keine spezifischen Terrorsuchen. Das war Spionage.
Ja, das war aber ausserhalb der Kooperation mit dem BND...
...aber hat nicht der BND diese Selektoren in das eigene System eingespiesen?
Er sollte das tun und hat die dann wieder rausgenommen und gemeldet.
...korrekt kann es trotzdem nicht gewesen, wenn das Kanzleramt schreibt, es habe organisatorische und technische Defizite gegeben beim BND.
Ich glaube, das haben sie erstmal geschrieben, um die Lage ein wenig zu beruhigen. Es gibt sicherlich Defizite in der parlamentarischen Kontrolle. Zunächst haben die dafür zuständigen Politiker die digitale Spionage und ihre Bedeutung überhaupt noch nicht verstanden. Dann sind sie aber auch viel zu wenige und zu schlecht in ihrer Expertise, um das in der Masse effizient zu kontrollieren.
Es kommt natürlich darauf, wer Spionage betreibt. Wenn es jemand ist, der die Welt unsicher machen will, wird sie auch unsicherer.
Sie haben gesagt, dass die USA sozusagen kontrollieren, was die deutsche Industrie macht und wohin sie Güter liefert. Aber eigentlich ist dies doch nicht Sache der USA, sondern der deutschen Institutionen?
Natürlich müssen auch die Deutschen da reinschauen. Aber so funktionieren Nachrichtendienste nun einmal: Es gibt sie, weil man nun einmal auch belogen wird in internationalen Beziehungen, von Freunden wie von Feinden. Ehrlich gesagt sind gerade die Deutschen – zumindest unter den amerikanischen Sicherheitsbehörden – nicht gerade als solideste Partner bekannt. Man hat uns schon häufig bei komischen Geschäften erwischt, etwa bei Geldwäsche und unerlaubtem Verkauf von Komponenten an Iran. Man hat begründete Zweifel und beobachtet dann eben auch.
Die USA schauen also, dass die deutschen Unternehmen keine Embargos unterlaufen, die die USA selber verhängt haben.
Zum Beispiel. Oder sie schauen einfach gerne, was die Deutschen den «schwierigen Staaten» verkaufen. Um letztlich zu bewerten, was etwa der Iran oder auch Putin in der Schublade haben, wenn es Probleme gibt, zum Beispiel in der Ukraine kracht. Da sind Listen deutscher Rüstungsgüter in die betreffenden Länder durchaus interessant.
Zwischen Spionage und Überwachung muss man grundsätzlich unterscheiden. Die Überwachung von Privatpersonen kann furchtbare Implikationen haben.
Sie singen das Hohelied auf die Spionage: Jeder weiss ein bisschen vom anderen und macht dann keine gefährlichen Schritte. Ist es auch gut, wenn Russland weiss, was Deutschland und andere Länder tun? Führt das zu gegenseitiger Kontrolle?
Die Russen und Chinesen, auch die Israelis und die Franzosen, spionieren uns sowieso die ganze Zeit aus. Egal ob man's gut oder schlecht findet: Es passiert sowieso. Es kommt natürlich darauf, wer Spionage betreibt. Wenn es jemand ist, der die Welt unsicher machen will, wird sie auch unsicherer. Wenn sie in unserem erweiterten Interesse geschieht, macht sie die Welt sicherer.
Sie haben die Bundesregierung und auch die Nato beraten. Sprechen Sie hier auch davon, dass es in Ordnung ist, wenn wir ausspioniert werden?
Ich sage, dass man damit rechnen muss. Die Chinesen beispielsweise machen sehr aggressive, kompetitive Wirtschafts- und Industriespionage. Bei so einem Akteur geht meine Beratung in die Richtung, dass man sich technisch und taktisch darauf einrichtet und die Systeme so «hart» macht, dass auch jemand in der Grössenordnung NSA nicht reinkommt.
Wenn Sie im aktuellen Fall von korrektem und klugen Handeln sprechen. Gilt das auch für Spionage bei Privatpersonen?
Man muss ganz klar unterscheiden zwischen Spionage und Überwachung. Das sind völlig unterschiedliche Kontexte, rechtlich, strategisch und politisch. Die Massenüberwachung von Privatpersonen betrifft vielmehr die innere Sicherheit und kann furchtbare Implikationen haben, etwa die Kontrolle und das Verschwinden-Lassen von Oppositionellen. Wie es etwa in China oder Russland geschieht.
Das Gespräch führte Peter Voegeli.