SRF News: Wie verändert ein Anschlag wie der in Orlando das Verhältnis der Amerikaner zu den Muslimen in ihrem eigenen Land?
Michael Hochgeschwender: Er wird die Entwicklungen bestätigen, die bereits seit 9/11 am Laufen sind. Es hat zwar direkt nach 9/11 auf der einen Seite eine Solidaritätserklärung von George W. Bush mit den Muslimen in den USA gegeben. Es hat auch die ausdrückliche Erklärung gegeben, dass nicht der Islam selber Schuld an dem Attentat gewesen sei. Aber 9/11 hat andererseits sehr grosse gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber Muslimen geschürt. Die Muslime zählen neben den Atheisten und den Scientologen laut Umfragen zu den unbeliebtesten Religionen in den USA. Insofern gibt es sehr viel Kritik, Angst und Ablehnung gegenüber der Religion, nicht notwendigerweise gegenüber Menschen muslimischen Glaubens – da muss man unterscheiden.
Wie wird die Trennlinie zwischen der Religion und ihren Anhängern gezogen?
Die Ablehnung der Amerikaner richtet sich laut Umfragen vor allem gegen bestimmte Inhalte der islamischen Religion. Dem Islam wird per se und ziemlich verallgemeinernd vorgeworfen, er sei mit der Demokratie und der Moderne nicht vereinbar; er würde bestimmte Menschenrechte, etwa Frauenrechte, einschränken, während Menschen muslimischen Glaubens durchaus akzeptiert werden. Solange diese nicht versuchen, ihren Glauben auf die US-Gesellschaft zu übertragen, können viele Amerikaner sagen, ja, mit dem kann ich leben. Das hängt natürlich auch mit der gesamtgesellschaftlichen Situation amerikanischer Muslime zusammen, die insgesamt sehr gut in die US-Gesellschaft integriert sind.
Nur etwa ein Prozent der US-Bevölkerung sind Muslime.
Das heisst, die USA habe kaum Probleme mit den Muslimen in ihrer Gesellschaft?
Ja, wenn man es im Ganzen betrachtet, gibt es kaum Schwierigkeiten. Das hängt auch damit zusammen, dass nur etwa ein Prozent der US-Bevölkerung Muslime sind. In der EU sind es im Durchschnitt 3,2 Prozent. Das heisst, die Amerikaner haben vergleichsweise wenig Muslime, und die, die sie haben, sind oft sehr gut gebildet. Etwa 5 Prozent der amerikanischen Ärzte sind Muslime. Andererseits sind auch sehr viele Schwarze, die in den Ghettos leben, inzwischen Muslime. Auch in den Gefängnissen gibt es eine grosse muslimische Population. Man hat also eine Art zweigeteilten Islam. Einen sehr gut integrierten Mittelklasse-Islam und einen zum Teil im Prozess der Radikalisierung befindlichen Islam in den Unterklassen.
Wenn Donald Trump sagt, er wolle muslimische Einwanderung generell verbieten, dann richtet sich das aber schon gegen die Menschen, nicht gegen die Religion?
In der Tat, Trump hat damit eine Grenze überschritten, die in der US-Politik bisher sehr fein gezogen worden ist. Präsident Barack Obama weigert sich ja beharrlich, überhaupt von islamischem Terrorismus zureden. Er versucht, zu unterscheiden, welche Gruppen im Islam eigentlich terroristisch gesonnen sind. Das ist nur eine winzige Minderheit. Trump geht einen Schritt weiter. Das ist auch etwas, wobei ihm viele der republikanischen alten Garde nicht folgen. Er wurde heftig dafür kritisiert.
Ist die Nichteinmischung in religiöse Angelegenheiten nicht ganz tief verankert im Selbstverständnis der USA?
Es ist einerseits unamerikanisch, wenn es tatsächlich gegen die Trennung von Staat und Religion verstiesse. Allerdings ist Trump dann doch so schlau, dass er sagt, er wolle keine neuen Muslime; er wolle keine islamische Zuwanderung. Damit wären amerikanische Staatsbürger nicht betroffen. Andererseits greift seine Forderung alte amerikanische Traditionen auf; verschwörungstheoretische Traditionen, die sich im 19. Jahrhundert zum Beispiel stark gegen Katholiken – vor allem gegen Jesuiten – richteten. Damals gab es zum Teil auch gewalttätige Ausschreitungen gegen Katholiken, die aber nie vom Staat ausgingen, sondern von der Zivilgesellschaft.
Trumps Forderung greift verschwörungstheoretische Traditionen auf.
Inwiefern unterscheidet sich die US-Auffassung von Religionsfreiheit von unserer?
Die amerikanische Trennung von Kirche und Staat ist ein Mittelding zwischen dem radikalen, französischen Laizismus auf der einen Seite, und dem auf Kooperation ausgerichteten Modell in Deutschland, wo es zwar eine verfassungsmässige Trennung von Staat und Kirche gibt, gleichzeitig aber auch Kooperation. Etwa beim Einziehen der Kirchensteuer, beim Religionsunterricht und ähnlichem. In den USA ist es so, dass zum Beispiel der Staat keine Gelder für konfessionelle Privatschulen ausgeben darf, sofern diese Gelder für religiöse Dinge gebraucht werden. Er darf aber zum Beispiel eine Klassenfahrt nach Washington bezahlen. Man hat hier Punkte gefunden, wo der Staat mit der Religion kooperieren kann. Auf der anderen Seite gibt es klare rechtliche Lagen, bei denen man sagen kann, da greift der Staat zu sehr in die Religion ein, oder da wird der Staat zu sehr religiös aufgeladen.
Trotzdem sind die USA ein zutiefst christliches Land. Wird diese Religionsfreiheit irgendwann nur noch eine innerchristliche Religionsfreiheit sein?
An sich stammt sie aus der Idee der innerchristlichen Religionsfreiheit. Obwohl etwa die aufgeklärten Väter der amerikanischen Republik sehr pro-islamisch waren, weil sie den Islam für eine ausgesprochen rationale Religion hielten. Aber letztlich war es eine christliche Form der Religionsfreiheit. Diese hat sich vor allem im 20. Jahrhundert auf das Judentum und andere nicht christliche Religionen ausgedehnt. Die Vorstellung, die USA seien eine christliche Nation, ist dann im 20. Jahrhundert von vielen Seiten aufgegeben worden. Es besteht nun die Gefahr, dass man sie auf einen Bereich zusammenschnürt, aus dem der Islam ausgegrenzt wird. Auf der anderen Seite haben sehr viele Amerikaner die Bedeutung des First Amendments, in dem neben der Meinungs- auch die Religionsfreiheit garantiert wird, so tief verinnerlicht, dass ich mir keine Situation vorstellen kann, in der man etwas machen könnte, was das Verfassungsgericht billigen würde, bei dem alle Religionen Religionsfreiheit genössen, nur der Islam nicht.
Viele Amerikaner haben die Bedeutung des First Amendments sehr tief verinnerlicht.
Auch nicht nach dem Attentat von Orlando?
Auch nicht nach Attentaten wie dem in Orlando. Man bedenke: Es hat in den USA schon ganz andere Attentate, etwa das von Timothy McVeigh, gegeben. Er war Antisemit, war Befürworter des Second Amendment, also der Bewaffnung der Amerikaner. Das hat an der Haltung der US-Amerikaner zur Bewaffnung aber wenig geändert. Von daher bin ich mir vergleichsweise sicher, dass es keine Reaktion geben wird, die die Verfassungsrechte ausser Kraft setzt. Selbst ein noch so konservativer Supreme Court würde so etwas nicht billigen können.
Das Gespräch führte Roman Fillinger.