Eine Kundgebung von rund 3000 Nationalisten vor dem Parlament in Kiew ist am Montag in schwere Gewalt ausgeartet. Mindestens 90 Menschen wurden verletzt und einer getötet, als Sprengsätze explodierten. Unter den Verletzten seien viele Nationalgardisten, teilten die Behörden mit. Beim Getöteten handelt es sich laut Innenminister Arsen Avakov um einen Vollzugsbeamten.
Der Abgeordnete Anton Geraschtschenko berichtete, dass Unbekannte eine Handgranate gezündet hätten. Die Behörden machen Extremisten unter den Anhängern der rechtsradikalen Svoboda-Partei für die Gewalt verantwortlich.
Keine endgültige Entscheidung
Im Parlament fand heute eine umstrittene Abstimmung statt. Gegen den erbitterten Widerstand rechter Parteien wurde eine Reform für mehr Autonomie angenommen, die auch die Rebellengebieten im Osten des Landes betreffen könnte. Eine klare Mehrheit der Abgeordneten stimmte in erster Lesung für diese Reform.
Die Reform soll den Regional- und Kommunalverwaltungen der Regionen Donezk und Luhansk mehr Macht geben, etwa das Recht zum Aufbau einer Volkspolizei. Sie gehört zu den Kernforderungen aus den Minsk-II-Verhandlungen vom letzten Februar.
Über eine endgültige Teilautonomie für die Gebiete unter Rebellenkontrolle soll aber erst ein weiteres Gesetz entscheiden.
Präsident Petro Poroschenko hatte am Wochenende versucht, Gegner der Autonomiegesetze umzustimmen, um den Friedensprozess zu retten. Nicht nur rechte und nationalistische Kräfte sehen die Verfassungsreform aber als Kniefall vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. So hatten Abgeordnete des Koalitionspartners der radikalen Partei am Morgen zunächst die Tribüne mit dem Rednerpult blockiert.
Umstritten: Autonomie gegen Frieden
Skeptiker in den radikaleren pro-westlichen Gruppierungen seien vielleicht nicht ganz zu Unrecht der Ansicht, dass sich der Konflikt um den Donbass nur noch ausweiten könnte, wenn die Separatisten zum jetzigen Zeitpunkt breite Autonomierechte erhielten, sagt SRF-Korrespondent Peter Gysling. Nach deren Meinung bräuchte es zuerst einen stabilen Frieden.
Die Abgeordneten des Poroschenko-Blocks des ukrainischen Präsidenten und jene der Volksfront von Regierungschef Jazeniuk hätten zwar grossmehrheitlich dem Autonomie-Passus für die ukrainische Regierung zugestimmt: «Es ist aber kein Geheimnis, dass auch sie in der Frage gespalten sind, ob sich das Ja zur Autonomie wirklich als Beitrag zu einem Frieden herausstellen wird.»
Die Auseinandersetzungen vor dem Parlament seien äusserst bedauerlich. Denn sie belasteten bei aller Uneinigkeit in Detailfragen auch die einstige Einheit der gemässigten ukrainischen Reformer in Kiew, sagt Gysling.