Die italienische Polizei hat den tunesischen Kapitän und ein syrisches Besatzungsmitglied des vor zwei Tagen vor der libyschen Küste gekenterten Flüchtlingsschiffes festgenommen. Sie waren unter den 28 Überlebenden der Katastrophe, die am Montagabend im sizilianischen Catania eintrafen.
Gegen Schlepper wird ermittelt
Gemäss der italienischen Nachrichtenagentur Ansa wird ihnen mehrfache fahrlässige Tötung, Menschenhandel und Schiffbruch vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Die beiden seien von anderen Überlebenden identifiziert worden, sagte der zuständige Staatsanwalt Giovanni Salvi. Auch der Flüchtling aus Bangladesch, der im Spital der sizilianischen Hafenstadt Catania liegt, habe sie auf Fotos erkannt.
An Bord des Flüchtlingsschiffs, das in der Nacht zum Sonntag gekentert war, sollen nach Angaben eines Überlebenden insgesamt bis zu 950 Menschen gewesen sein. 28 wurden gerettet, 24 Leichen wurden geborgen.
Wrack wird kaum geborgen werden
Die Hoffnung, im Mittelmeer weitere Überlebende der Katastrophe zu finden, schwand am Montag. Der italienischen Küstenwache zufolge war das Fischerboot mit Hunderten Flüchtlingen an Bord etwa 70 Seemeilen (130 Kilometer) vor der libyschen Küste gekentert.
Ob das Schiff und die vermutlich Hunderten Leichen geborgen werden können, war unklar. Die Küstenwache erklärte, möglicherweise werde es keine Gewissheit über die Zahl der Toten geben, da das Mittelmeer an der Unglücksstelle sehr tief sei.
Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) geht derweil von etwa 800 Todesopfern aus, wie Vertreter der Organisationen am Dienstagmorgen mitteilten. Sie beriefen sich auf Überlebende des Unglücks.
«Die Flüchtlinge sind ein europäisches Problem» EU unternimmt endlich etwas
Als Reaktion auf die jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer will die EU die Seenothilfe massiv ausweiten. Bei einem Krisentreffen der Aussen- und Innenminister am Montag in Luxemburg wurden Pläne für die Verdoppelung der Mittel für die EU-Programme Triton und Poseidon auf den Weg gebracht.
Sie sollen den Einsatz von deutlich mehr Schiffen ermöglichen und noch am Donnerstag auf einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs vorgelegt werden.
Neben der Ausweitung der Seenotrettung könnten künftig gezielt von Schleppern genutzte Schiffe beschlagnahmt und zerstört werden. Vorbild sei die militärische Anti-Piraterie-Mission Atalanta am Horn von Afrika, sagte der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos in Luxemburg. Atalanta begleitet nicht nur zivile Schiffe, sondern zerstörte mehrfach auch Piratenlager.
Die Flüchtlinge treten nach Berichten von Überlebenden und Helfern die Fahrt über das Mittelmeer oft auf völlig überladenen und nicht seetüchtigen Booten an – bisweilen sogar ohne genügend Treibstoff.
Das Bürgerkriegsland Libyen ist derzeit ein Haupttransitland. Seit Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi 2011 mit Unterstützung des Westens gestürzt wurde, rivalisieren in Libyen islamistische Milizen und nationalistische Kräfte gewaltsam um Macht und Einfluss.
Es gibt keine funktionierenden Grenzkontrollen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Palermo auf Sizilien warten in Libyen bis zu einer Million Flüchtlinge auf die Überfahrt nach Europa.
Flüchtlingsdramen im Mittelmeer
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Bild 1 von 11. Ein Gesicht der Katastrophe im Mittelmeer: Dieser junge Mann wurde gerettet – die Angst ist ihm aber noch immer ins Gesicht geschrieben. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 11. Diese Migranten hatten Glück im Unglück – sie überlebten die Überfahrt und gehen am 21. April in Europa an Land. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 11. Italienerinnen werfen in Sizilien als Solidaritätsbekundung Blumen ins Mittelmeer. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 11. Beinahe täglich geschehen im Mittelmeer tragische Unglücke mit Flüchtlingen. Am 20. April zerschellte ein hölzernes Boot an der Küste von Rhodos. Zahlreiche Flüchtlinge konnten sich mit Hilfe von Wrackteilen über Wasser halten und trieben zum Strand Zefyros. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 11. Die lokale Bevölkerung sowie Rettungsmannschaften versuchten gemeinsam, den schiffbrüchigen Migranten zu helfen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 11. Wie viele Migranten sich genau an Bord des verunglückten Flüchtlingsbootes befanden, ist unklar. Laut Medienberichten sollen aber rund 100 Menschen auf dem Schiff gewesen sein. Sie wurden von Schleuserbanden von der türkischen Küste nach Europa gebracht. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 11. Für mindestens drei Menschen endete die Überfahrt nach Rhodos mit dem Tod – darunter ein vierjähriges Kind. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 11. Rund 90 Personen konnten vor Rhodos gerettet werden. Einsatzkräfte suchten derweil nach weiteren Migranten. Mitunter waren auch Taucher im Einsatz. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 11. Am Wochenende ereignete sich vor der Küste Libyens ebenfalls ein Flüchtlingsdrama – mit möglicherweise mehr als 700 Toten. Dutzende Leichen wurden auf dem italienischen Rettungsschiff «Gregoretti» nach Malta gebracht. Bildquelle: Reuters.
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Bild 10 von 11. An Bord waren auch Überlebende, die nach Italien gebracht werden sollten. Sie kamen schwer erschöpft und mitgenommen in Europa an. Bildquelle: Reuters.
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Bild 11 von 11. Die Dramen, die sich im Mittelmeer abspielen, sind auch für die Hilfsmannschaften nur schwer zu ertragen. «Unsere Besatzungen sehen die Menschen sterben; sie ertrinken vor unseren Augen oder erfrieren an Bord», erklärte jüngst ein Reeder, dessen Schiffe bei Rettungen eingesetzt werden. Bildquelle: Reuters.