SRF News: Der Anschlag auf den Flughafen in Istanbul soll laut türkischen Regierungskreisen auf das Konto von IS-Kämpfern aus dem Nordkaukasus und Kirgisistan gehen. Welche Rolle spielen Kämpfer aus dem Kaukasus und Zentralasien innerhalb der Terrormiliz IS?
Uwe Halbach: Seit Ende 2014 ist bekannt, dass unter den ausländischen Freiwilligen des IS in Syrien und im Irak eine beträchtliche Zahl aus dem post-sowjetischen Raum kommt. Die Angaben über die Anzahl der Kämpfer aus Russland und dem Nordkaukasus variieren zwischen 2900 und 5000. Hinzu kommen angeblich bis zu 4000 Kämpfer zentralasiatischer Herkunft.
Der Tschetschene Ahmed Schatajew soll der Drahtzieher hinter den Anschlägen von Istanbul sein. Wer ist das?
Schatajew war ein bekannter Repräsentant Doku Umarows und Vertreter des kaukasischen Emirats in Europa. 2012 ist er in der Lopata-Schlucht in Georgien festgenommen worden, von einem Gericht in Tiflis aber freigesprochen worden.
Sie sprechen das sogenannte Kaukasus-Emirat an. Gibt es das noch?
Es wurde vom letzten tschetschenischen Untergrundpräsidenten Doku Umarow 2007 ausgerufen. Ursprünglich hatte sich das kaukasische Emirat nach Al Kaida ausgerichtet. Spätestens seit 2014 ist es aber gespalten, weil immer mehr Feldkommandeure und ideologische Führer ihre Gefolgschaft dem IS zugesichert haben.
Das hatte auch eine Auswanderung von Kämpfern nach Syrien und Irak zufolge. Dadurch wurde das Kaukasus-Emirat stark geschwächt. Eine zusätzliche Schwächung erfolgte, weil viele militärische Führer von den föderalen und lokalen Sicherheitskräften liquidiert wurden. Es ist deshalb nicht sicher, ob dieses Kaukasus-Emirat überhaupt noch besteht.
Spielen die kaukasischen Kämpfer denn eine entscheidende Rolle im IS?
Vor allem tschetschenische Kämpfer werden wegen ihrer Kampferfahrung aus dem Untergrund hoch geschätzt und spielen beim IS eine wichtige Rolle. Allein aus dem Pankissi-Tal mit wenigen tausend Einwohnern im Grenzgebiet Georgiens zu Tschetschenien sollen sich bis zu hundert Männer nach Syrien und Irak begeben haben. Einige dieser Leute spielen dort eine erhebliche Rolle.
Was sind die Gründe für den Zulauf zum IS?
Es hat Hinweise darauf gegeben, dass russische Sicherheitsorgane bis 2014 diese Auswanderung nicht unterbunden haben – teilweise sogar unterstützt haben sollen. Damit sollte die Sicherheitssituation innerhalb der eigenen Staatsgrenzen verbessert werden. Dies geschah vor allem im Vorfeld der Olympischen Winterspiele von Sotschi 2014. Eindeutige Beweise darüber gibt es nicht, aber auch russische Analysten weisen darauf hin, dass es eine Zeit lang ein eher wohlwollendes Verhältnis gegenüber dieser Auswanderung gegeben hat. Tatsächlich sind gleichzeitig die Gewaltereignisse im Nordkaukasus in den letzten zwei Jahren deutlich zurückgegangen.
Hat Russland denn seine Grenzkontrollen inzwischen verstärkt?
In dem Masse, in dem Russland selber zu einem Angriffsziel des IS geworden ist, hat sich das verändert. Das ist vor allem nach dem Eingriff Russlands in Syrien und dem Abschuss der russischen Passagiermaschine über dem Sinai der Fall. Von verstärkten Grenzkontrollen ist deshalb auszugehen, aber die Grenzen im Nordkaukasus lassen sich nicht lückenlos kontrollieren.
Ist die schlechte wirtschaftliche Lage im Nordkaukasus ein Nährboden für kommende IS-Terroristen?
Die sozialökonomische Situation ist nicht der einzige Grund, denn die Kämpfer kommen aus unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Festzustellen ist aber, dass der Nordkaukasus die Armutsperipherie der russischen Föderation bildet. Fast alle nordkaukasischen Republiken sind stark von Moskaus Subventionen abhängig. Aufgrund der Wirtschaftskrise in Russland nehmen diese aber ab, sodass sich die ökonomischen Probleme noch verschärfen. Zusammen mit der Korruption bieten die Verhältnisse dort eine breite Angriffsfläche für einen politisierten Appell an islamische Gerechtigkeit und islamistische Parolen.
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Ist Russland stark genug, den IS-Terror einzudämmen?
Putin hat angekündigt, die internationale Zusammenarbeit gegen den IS-Terror ausweiten zu wollen. Dieses Anliegen hat auch Ankara geäussert. Denn es ist das erste Mal, dass Kämpfer aus dem post-sowjetischen Raum auf internationaler Bühne einen solchen Anschlag (wie auf den Flughafen von Istanbul. Anm. d. Red.) verübt haben. Bisher beschränkte sich das auf Syrien, den Irak und die Heimatregionen.
Gibt es nach dem Anschlag auf den Flughafen von Istanbul eine neue türkisch-russische Front gegen den islamistischen Terror?
Die Türkei ist dieses Jahr bereits von mehreren schweren Anschlägen erschüttert worden. Türkische Medien spekulieren nun über eine verstärkte Anti-Terror-Zusammenarbeit zwischen der Türkei, Russland und Israel. Erdogan hat sich bei Russland für den Abschuss der Militärmaschine am 24. November 2015 entschuldigt. Beide Seiten sind offenbar daran interessiert, ihre Beziehungen wieder zu verbessern. Auch gegenüber Israel hat Erdogan positive Signale gesendet.