Am kommenden Dienstag wird Hillary Clinton in Kalifornien genügend Delegierte hinter sich geschart haben. Dann ist klar: Das Duell lautet Clinton gegen Trump. Der Journalist Martin Kilian lebt seit 40 Jahren in den USA und hat das Geschehen vor allem für den «Tages-Anzeiger» verfolgt.
SRF News: Haben Sie sich schon an den Gedanken gewöhnt, dass der nächste Präsident Donald Trump heissen könnte?
Martin Kilian: Nein keineswegs. Daran werde ich mich überhaupt nicht gewöhnen können. Es gibt das schöne Sprichwort «Never a dull moment» (Es wird nie langweilig). Niemand hat Trump vorhergesehen, aber jetzt ist er da, und ich kann nicht ausschliessen, dass er die Wahl gewinnt. Ich bin eigentlich aber doch überzeugt, dass es für ihn am Ende nicht reichen wird.
Trotzdem fragen jetzt alle: Was wäre, wenn?
Das wäre ein interessantes Experiment. Es käme jemand ins Weisse Haus, der zumindest im Wahlkampf bisher wenig Respekt für die Verfassung gezeigt hat. Es würde also viel von den Mehrheitsverhältnissen im Kongress abhängen. Mit Ronald Reagan wäre das Experiment aber nicht zu vergleichen, der auch ein Entertainer war, denn er war vor dem Einzug ins Weisse Haus zwei Mal Gouverneur von Kalifornien. Trump dagegen hat überhaupt keine politische Erfahrung. Er ist ein Showman.
Wäre es immerhin ein kontrolliertes Experiment, weil ihm der Kongress unabhängig von den Mehrheiten ziemlich enge Zügel anlegen könnte?
Das stimmt. Das ausgeklügelte System der Checks und Balances der amerikanischen Verfassungsväter setzt Grenzen, ob nun die Demokraten oder Republikaner die Mehrheit stellen: Trumps aussenpolitische Verträge würden im Senat kontrolliert, das Repräsentantenhaus hat die Budgethoheit. Man könnte ihn also einengen. Trotzdem ist die Exekutivmacht des US-Präsidenten sehr gross, und er könnte gewaltigen Schaden auch in der Aussenpolitik anrichten.
Wieviel Schaden könnte er in der Innenpolitik anrichten?
Wesentlich weniger. Aber es wäre vorstellbar, dass eine Trump-Präsidentschaft gewaltige ausserparlamentarische Proteste auf den Plan ruft. Mit Strassenschlachten und Protestaktionen in den Grossstädten. Gestern Abend beispielsweise gab es in San José sehr heftige Protestaktionen gegen Trump. Das ganze Klima in den USA würde durch Trump als Präsident sehr negativ beeinflusst.
Was würde Trump aussenpolitisch machen?
Das würde von seinen Beratern abhängen. Aber er hat nun schon sehr seltsame Sachen gesagt etwa in Bezug auf die Nato. Er versteht sich als Freund von Putin. Er fände es ok, wenn Japaner, Südkoreaner und Saudis Atomwaffen hätten. Das sind unglaubliche Sachen. Wir wissen überhaupt nicht, welche Aussenpolitik er verfolgen würde. Man kann eigentlich nur hoffen, dass Trump – wie viele andere Präsidenten vor ihm – einen Erziehungsprozess durchlaufen würde.
Ein «Experiment Trump» wäre also nicht der «Weltuntergang»?
Nein, sicherlich nicht. Es gibt die Checks and Balances, die öffentliche Meinung, die Medien. Das Ganze wäre ein kontrolliertes Experiment, aber auch kontrollierte Experimente können ab und zu wirklich schiefgehen.
Wieso hat Trump derart Erfolg? Sind die Amerikaner nicht ähnlich pragmatisch wie die Schweizer, wenn es ums Portemonnaie geht?
Doch. Deshalb ist die Mehrheit der Wirtschaftsvertreter bisher gehen Trump. Aber auf der einen Seite sehen die Wähler den «Selbstbedienungsladen» in Washington, wo sich eine politische Klasse wie die Made im Speck benimmt.
Auf der anderen Seite wird Trump von jenen gewählt, die seit Jahrzehnten immer weiter abgehängt werden und aus der Mittelklasse herausgefallen sind. Viele sind ohne Hochschul- und zum Teil gar ohne Highschool-Abschluss. Die Bitterkeit vieler Amerikaner ist über Jahrzehnte angewachsen. Trump ist nur der bislang schärfste Ausdruck eines immer grösser werdenden Unbehagens über das System.
Ist ein Grund auch die sinkende Lebenserwartung in den USA?
Richtig. Die Lebenserwartung von Amerikanern der weissen Mittelklasse sinkt. Es ist ein einmaliger Vorgang, der zuletzt in Russland beim Zusammenbruch der Sowjetunion zu beobachten war. Die drei Hauptgründe sind Selbstmord, Alkoholismus und Opiate. In den ärmeren Regionen der Appalachen etwa von Kentucky, Tennessee und West-Virginia leben verzweifelte Menschen. Das ist ein Zeichen, dass es hier nicht mehr richtig läuft.
Das Gespräch führte Peter Voegeli.