In der fruchtbaren Ebene von Caserta bei Neapel gedeihen beinahe zu jeder Jahreszeit Früchte und Gemüse. Entsprechend hoch ist der Bedarf an Pflückern. Abram aus der Elfenbeinküste ist einer der Tausenden von Landarbeitern, die hier ihr karges Auskommen finden. Da er, wie fast alle andern auch, illegal in Italien ist, hat er gar keine Möglichkeit auf einen regulären Job mit Vertrag.
«Der Vorarbeiter – in der Regel ein Italiener mit einem grossen Auto – erhält vom Plantagenbesitzer den Auftrag, ein Feld abzuernten», erzählt Abram. Bei allen grossen Verkehrskreiseln in Caserta könne man die Landarbeiter frühmorgens ab 4 Uhr antreffen. Sie würden dort warten, dass sie von einem Vorarbeiter ausgesucht werden. «25 Euro erhalten wir pro Tag. Doch der Vorarbeiter zieht uns davon 5 Euro für die Fahrt zum Arbeitsort ab.»
Arbeiter werden doppelt ausgenommen
Es ist seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten bekannt, dass diese Vorarbeiter in aller Regel zu einem örtlichen Mafia-Clan gehören. Die meist aus Nord- und Schwarzafrika stammenden Landarbeiter werden also zwei Mal ausgepresst. Zum einen vom Plantagenbesitzer, der ihnen Hungerlöhne zahlt, zum andern von mafiösen Vorarbeitern.
«Wir alle wissen, dass diese Vorarbeiter Mafiosi sind, dass sie uns ausbeuten», sagt Abram. «Aber was können wir ausrichten? Die Mafia ist stärker als wir, und selbst wenn wir uns wehren würden, würde uns niemand zuhören. Wir sind illegal in Italien, uns gibt es gar nicht.»
Der Körper ist das einzige Kapital
Hin und wieder wehrt sich aber trotzdem einer der Pflücker – vor kurzem etwa ein 20-jähriger Junge aus Marokko. Fünf Jahre lang hielten ihn die Pflanzer auf ihrer Plantage fest. Als er bei Renovationsarbeiten am Haus seines Patrons vom Gerüst fiel und sich beide Arme brach, da floh er zu den Carabinieri und erstattete Anzeige.
Gian Luca Castagli von Caritas Caserta überrascht das nicht. «Das einzige, was die Immigranten wirklich verlieren können, ist ihr Körper.» Sei dieser verletzt, könnten sie kein Geld mehr verdienen. In diesen Fällen würden sich die Landarbeiter manchmal an die Polizei wenden – auch wenn sie befürchten müssten, wegen illegaler Einwanderung ins Gefängnis zu wandern oder ausgeschafft zu werden.
Die Caritas versteckt die Klagenden seit kurzem, um so zu verhindern, dass sie von ihren Peinigern eingeschüchtert werden und die Anzeige fallen lassen. Die Zahl der Anzeigen ist dank dieser Massnahme im Gebiet von Caserta von 15 auf 60 pro Jahr gestiegen. Doch damit haben die Landarbeiter noch nicht gewonnen. Denn die italienische Justiz arbeitet sehr langsam.
Anlaufstellen für Wanderarbeiter
«Wenn ein Richter heute eine Anzeige entgegen nimmt und dem Landarbeiter sagt, nächsten April beginnt der Prozess, ist alles verloren», sagt Castagli. Denn die Landarbeiter würden je nach Jahreszeit weiterziehen. Im Herbst seien sie in Kalabrien bei den Orangen, im Frühling in Caserta bei den Zwiebeln, im Sommer bei den Tomaten in Apulien – und da sie illegal hier seien, hinterliessen sie auch nicht ihre ständig wechselnden Adressen. «Sind sie am Prozesstag aber abwesend, war ihre Anzeige sinnlos. Also mussten wir ein System aufziehen, das den Landarbeitern folgt.»
Seit diesem Sommer hat Caritas in allen Orten in Süditalien, wo viele illegal Eingewanderte in der Landwirtschaft arbeiten, Anlaufstellen eröffnet. Hat einer Anzeige erstattet, kann er sich bei diesen Anlaufstellen melden. So weiss das Gericht, wo der Klagende gerade lebt. Caritas springt da quasi in eine Lücke. Denn die italienische Justiz bietet den klagenden Wanderarbeitern diese Möglichkeit nicht – aus welchen Gründen auch immer.
Castagli sagt, das Ganze sei ein Tropfen auf den heissen Stein. Die Ausbeutung und Gesetzlosigkeit in der italienischen Landwirtschaft sei grenzenlos. Doch wenn sich einzelne Landarbeiter zu wehren beginnen, sei dies ein starkes Zeichen für die andern Landarbeiter, es ihnen gleich zu tun. Und für die Pflanzer und Mafiosi steige das Risiko, zur Verantwortung gezogen zu werden.