SRF: Am G-20 Gipfel in Brisbane weht Wladimir Putin ein eisiger Wind entgegen. Für die westlichen Staatenlenker ist der russische Präsident der grosse Aggressor – einer, der vom Frieden spricht, aber zum Krieg anstachelt. Ist die Angst vor einem neuen offenen Krieg in der Ukraine berechtigt?
Alexander Hug: Die OSZE-Spezialmission ist im Osten der Ukraine mit zwei Teams vor Ort. Diese haben in den letzten Wochen in der Tat mehr Bewegung militärischer Art beobachtet – aber auf beiden Seiten. Wir haben bewaffnete Kolonnen im Gebiet der Rebellen gesehen und gleichzeitig auf der ukrainischen Seite die gleiche Massierung neuer Kräfte beobachtet.
Offiziell gilt ein Waffenstillstand. Wie viel ist er noch wert?
Die Natur des Konflikts hat sich verändert. Vor dem 19. September, als das Memorandum in Minsk unterzeichnet wurde, war der Konflikt über das ganze Gebiet der Ostukraine verteilt. Seitdem konzentriert er sich auf Konfliktherde entlang der Kontaktlinien. Zum Beispiel in der Stadt Mariupol, in Donezk in der Nähe des Flughafens oder bei anderen strategisch wichtigen Punkten. So gesehen haben die Minsk-Dokumente schon Wirkung gezeigt.
Putin wirft der OSZE vor, parteiisch zu sein.
Die OSZE-Spezialmission in der Ukraine hat ein Mandat, das von 57 Mitgliedstaaten im Konsens gegeben wurde. Dazu gehören auch die Russische Föderation und die Ukraine. Wir berichten, was wir sehen und wir berichten dies von allen Seiten. Im Osten der Ukraine, auf der Rebellenseite, aber auch auf der ukrainischen Seite. Und im Westen des Landes natürlich auch, wo wir weitere acht Teams positioniert haben. Die Berichterstattung ist objektiv und die Verifizierung der Informationen wird von unseren Beobachtern vor Ort vorgenommen und erst nach detaillierter Abklärung werden diese berichtet.
Sie waren unter anderem in Donezk. Wie ist die Lage dort?
Die Situation hat sich seit dem Sommer verbessert. Damals war die Stadt leer, die Läden ebenfalls, Tankstellen waren geschlossen und Geldautomaten hatten kein Geld. Das sieht jetzt anders aus. Trotzdem ist die Zivilbevölkerung eingeschränkt in ihrer Bewegung, da sich die Stadt direkt an der Kontaktlinie befindet. Vor allem im Westen der Stadt, in der Nähe des Flughafens, ist die Sicherheitssituation ziemlich prekär.
Experten aus den Niederlanden haben die Bergung von Wrackteilen an der Absturzstelle von MH17 wieder aufgenommen. Welche Rolle spielte die OSZE dabei?
Ich war am Freitag in Donezk und habe mit den Rebellenführern einen Dialog geführt. Die Mission hat hier eine Vermittlungsaufgabe ausgeübt und hat das Dokument zur Einigung auch als Zeuge mitunterzeichnet.
Trotz dieser kleinen Fortschritte, der Waffenstillstand scheint brüchig.
Es stimmt, dass der Waffenstillstand nicht komplett hält. Dafür bräuchte es den politischen Willen auf allen Seiten.