Vor gut einem Monat ist die Schülerin Armita Garawand unter umstrittenen Umständen in der Teheraner U-Bahn kollabiert. Nach der mutmasslichen Konfrontation mit der Moralpolizei ist sie ins Koma gefallen und später verstorben.
In iranischen Medien ist von einem niedrigen Blutdruck der 16-Jährigen die Rede. Menschenrechtsgruppen dagegen sehen die junge Frau als Opfer der Sittenpolizei wegen Verletzung der Kopftuchpflicht.
Staatsmedien dementieren die Vorwürfe
Das iranische Regime behauptet weiterhin, dass es keinen Vorfall in besagter U-Bahn gegeben habe. Die iranischen Behörden veröffentlichen das Material der Sicherheitskameras jedoch bis heute nicht. Das stützt die Zweifel der Menschenrechtsorganisation Hengaw.
Der in Norwegen ansässigen Organisation liegen nach eigenen Angaben Zeugenaussagen vor, welche die Gewalt einer Beamtin der Moralpolizei klar belegen: Sie habe die junge Frau geschlagen, weil sie kein Kopftuch getragen habe.
Der Tod der 16-jährigen Garawand lässt Erinnerungen an September 2022 aufkommen. Damals starb in Teheran die iranische Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam. Ihr Schicksal hatte die schwersten Proteste seit Jahrzehnten ausgelöst. Das iranische Regime fürchte sich wohl vor erneuten Protesten, vermutet Katharina Willinger, ARD-Korrespondentin für den Mittleren und Nahen Osten.
Die Regierung verbreitet medial ihre Sicht der Dinge. Die Fernseh- und Radiosender gehören dem Staat. Unabhängiger Journalismus ist nicht möglich. Eine Kollegin von Journalistin Willinger wurde verhaftet, als sie auf dem Weg in die Klinik war, in der Armita Garawand lag. Ihr droht nun der Prozess.
Es schwingt immer die Angst mit, ‹das könnte mir, meiner Tochter, meiner Schwester auch passieren›.
Willinger sieht einen weiteren Grund für die bewusste Verbreitung des Falles: «Es ist eine Art Taktik des Regimes, dass solche Fälle öffentlich werden. Es schwingt immer die Angst mit, ‹das könnte mir, meiner Tochter, meiner Schwester auch passieren›.» Eltern könnten ihre Tochter bitten, aus Sicherheit das Kopftuch zu tragen.
Dennoch laufen in Teheran sehr viele Frauen ohne Kopftuch herum – vor allem Junge, wie Willinger sagt. Sie war Ende August vor Ort. Das iranische Regime kämpft dagegen mit Einschüchterung an. Frauen und Mädchen berichten von Kameraaufnahmen von Frauen, die ohne Kopftuch Auto fahren. Viele hätten das Gefühl, dass die Ampelphasen länger dauerten als früher, um die Iranerinnen zu identifizieren.
Die Sicherheitsbeamten sind laut Willinger wieder präsenter, sprechen Frauen direkt an und fordern sie auf, das Kopftuch zu tragen. An der Trauerfeier von Garawand wurden mehrere Personen festgenommen, darunter die bekannte Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh.
Doch auch wenn die Einschüchterung wirke, protestmüde seien die Menschen in Iran nicht, so die ARD-Journalistin. Denn was die Demonstrantinnen und Demonstranten im Land eine, sei der Wunsch nach einer grossen Veränderung. Ein weiterer Fall wie der von Armita Garawand oder von Jina Mahsa Amini oder weitere grosse wirtschaftliche Probleme könnten zu erneuten Protesten führen.