Vor genau einem Jahr starb in Iran die 22-jährige Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam. Sie war festgenommen worden, weil sie den vorgeschriebenen Schleier nicht vorschriftsgemäss trug. Folge: Heftige Proteste im ganzen Land, die vom iranischen Regime gewaltsam niedergeschlagen wurden. Was ist übrig von der Protestbewegung? Dazu weiss ARD-Korrespondentin Katharina Willinger mehr. Sie war vor wenigen Wochen in Iran.
SRF News: Wie ist die Stimmung in Iran kurz vor dem Jahrestag des Todes von Mahsa Amini?
Katharina Willinger: Sie ist wahnsinnig angespannt – sowohl bei den Behörden als auch auf Seite der Protestbewegung. Seit Monaten gehen die iranischen Behörden massiv gegen Menschenrechtler oder Menschen, die protestiert haben, vor. Auch Angehörige sind in ihr Visier geraten. Man versucht also, die Protestbewegung, die sich rund um den Jahrestag vielleicht formieren könnte, im Keim zu ersticken.
Mehrere Personen, die demonstriert hatten, wurden mit dem Tode bestraft. Kommt es immer noch zu Hinrichtungen?
Mit der Vollstreckung der Todesurteile, die mit der Protestbewegung in Zusammenhang standen, hat das Regime sein Ziel erreicht, die Protestbewegung abzuwürgen und zu ersticken. Das haben uns Menschen bestätigt, mit denen wir vor wenigen Wochen in Teheran gesprochen haben. Die Hinrichtungen seien ein Wendepunkt in der Protestbewegung gewesen, viele Menschen hätten Angst bekommen, haben sie uns gesagt.
Viele Iranerinnen führten eine Art stillen Protest weiter, indem sie das Kopftuch nicht mehr trugen. Ist das immer noch so in Teheran?
In den grossen Städten sieht man immer noch Frauen ohne Kopftuch – aber etwas weniger als bei meinem letzten Besuch zu Beginn des Jahres. Das liegt sicher daran, dass die Strafen wieder heftiger sind und «fehlbare» Frauen wieder stärker verfolgt werden.
Junge Frauen in T-Shirts oder in einem Rock – das war vor den Protesten nach dem Tod Aminis in Iran kaum denkbar.
Man sieht aber auch Frauen, die ganz ohne Schal aus dem Haus gehen und sich diesen bei Bedarf schnell hochziehen könnten, oder junge Frauen in T-Shirts oder in einem Rock. Das war vor den Protesten nach dem Tod Aminis in Iran kaum denkbar.
Wie verhält sich das iranische Regime gegenüber ausländischen Journalistinnen wie Ihnen?
Es gibt zwei Schwierigkeiten: Einerseits ist es schwierig, Menschen zu finden, die überhaupt mit einem sprechen wollen. Viele sind verängstigt und fürchten scharfe Konsequenzen der Behörden. Andererseits muss man Menschen schützen. Man kann nicht einfach zu einer Frau oder zu einem Mann fahren, die oder der an Demonstrationen teilgenommen hat. Denn man muss immer damit rechnen, dass man vom Geheimdienst beobachtet oder gar beschattet wird.
Die journalistische Arbeit gestaltet sich also sehr schwierig – trotzdem versuchen wir, Menschen aus Iran zu Wort kommen zu lassen.
So war ich beim letzten Besuch in Iran Ende August auf dem Weg zu einer Fotografin, die zu Beginn die Proteste fotografiert hatte und festgenommen wurde – derzeit läuft deswegen der Prozess gegen sie. Kurz bevor wir bei ihr ankamen, erhielten wir einen Anruf vom iranischen Geheimdienst und man gab uns relativ deutlich zu verstehen, dass wir das Interview nicht führen könnten. Sollten wir es trotzdem versuchen, hätten wir mit Problemen zu rechnen. Die journalistische Arbeit gestaltet sich also sehr schwierig – trotzdem versuchen wir, Menschen aus Iran zu Wort kommen zu lassen.
Das Gespräch führte Rachel Beroggi.