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«Das Minarettverbot galt als hinterwäldlerische Verirrung»
Aus Echo der Zeit vom 11.09.2017.
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Islamfeindlichkeit in Europa Sind Muslime die neuen Juden?

Der deutsche Historiker Wolfgang Benz sieht Parallelen in der Diffamierung der religiösen Minderheiten. Etwa, wenn Koran und Talmud nach «belastendem Material» durchforstet werden.

  • Kaum ein Thema ist in den letzten Jahren in Europa so kontrovers diskutiert worden wie der Islam.
  • Das Bild, das vermittelt wird, ist dabei oft negativ: Es geht um unterdrückte Frauen, Terroranschläge und Krieg.
  • Viele Muslime glauben deswegen, eine zunehmend islamfeindliche Haltung in westlichen Gesellschaften festzustellen.
  • Dem stimmt auch der deutsche Historiker Wolfgang Benz zu. Er sieht zudem Parallelen zwischen der Islamfeindlichkeit und der Judenfeindlichkeit.

Wolfgang Benz, der frühere Leiter des Zentrums für Antisemitismus-Forschung an der Technischen Universität Berlin, erinnert sich noch lebhaft an den Spätherbst 2009. Die Schweizer Stimmberechtigten hatten gerade die Volksinitiative für ein Minarett-Verbot angenommen. In bildungsbürgerlichen Kreisen Deutschlands habe man mit Kopfschütteln auf das Schweizer Votum reagiert – angesichts der Tatsache, dass es in der Schweiz nur drei oder vier Minarette gebe:

Das Minarettverbot galt als hinterwäldlerische Verirrung. Man hat sich über die Nachbarn mokiert: Haben die denn keine anderen Sorgen?
Autor: Wolfgang Benz Deutscher Historiker
AfD-Anhänger demonstriert in Potsdam, 9. September 2017.
Legende: Die AfD-Unterstützer goutieren die «klare Haltung» ihrer Partei gegenüber Muslimen. Keystone

Doch dieser deutsche Hochmut sei mittlerweile verflogen, sagt der Historiker.

Heute stecke Deutschland selber in einer schwierigen Islam-Diskussion. Benz nennt in diesem Zusammenhang die Demonstrationen der Pegida oder die Alternative für Deutschland (AfD), die laut Umfragen demnächst im Bundestag vertreten sein wird.

Vor allem die AfD macht ihm Sorgen: «Dass man 10 Prozent der Bevölkerung unter dem Banner Islamfeindlichkeit mobilisieren kann, ist ein ganz eindeutiges Zeichen.» Und das negative Islam-Bild, das die AfD oder etwa auch der Buchautor und frühere SPD-Politiker Thilo Sarrazin zeichneten, habe einen Einfluss auf die Stimmung in der Bevölkerung.

«Phantomschmerzen» unter Islam-Kritikern

Kritisch sieht Wolfgang Benz auch die Forderung nach einem Burka-Verbot, das in verschiedenen europäischen Länder ein Thema ist. «In meiner Heimatstadt Berlin sehe ich nie Burka-Trägerinnen, obwohl wir die grösste muslimische Gemeinde in Deutschland haben. Es ist so etwas wie Phantomschmerz, wenn man gegen Burkas wütet.» Diese Diskussion sei häufig ein Vorwand, um Muslime auszugrenzen.

Es ist so etwas wie Phantomschmerz, wenn man gegen die Burkas wütet.
Autor: Wolfgang Benz Deutscher Historiker

Wenn er heute Polemiken über Burkas, Kopftücher und Koran-Texte verfolgt, sieht Benz sogar gewisse Parallelen zur Judenfeindlichkeit.

Nach der Attacke auf «Charlie Hebdo» demonstriet eine Muslimin in Barcolena.
Legende: Nach Terrorattacken werden oft pauschale Verdächtigungen gegen «die Muslime» laut. Manche wehren sich. Reuters

Wenn man die Geschichte anschaue, stelle man fest, dass die Diffamierung der Juden bis ins 19. Jahrhundert vor allem über ihre Religion stattgefunden habe: «Selbsternannte Fachkenner haben dann behauptet, im Talmud stünden Gebote, dass der Jude dem Nicht-Juden Böses antun darf oder muss.» Einen ähnlichen Umgang hätten heute viele Islam-Kritiker auch mit Koran-Texten.

Diese These von Benz ist durchaus umstritten, auch einige seiner Wissenschaftlerkollegen haben ihn dafür kritisiert. Benz verteidigt sich, es gehe ihm nicht um eine Gleichsetzung von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Er wolle einfach aufzeigen, dass es gewisse strukturelle Ähnlichkeiten gebe.

Konstruktive Kritik statt pauschale Urteile

Doch es gibt noch weitere Kritik: Leute wie Benz, die so stark die Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft betonten, würden damit auch die legitime Kritik an konservativen oder radikalen Ausprägungen des Islam tabuisieren, heisst es etwa.

Doch auch das lässt Benz nicht gelten, gerade vor dem Hintergrund der vielen Islam-Debatten in Politik und Medien: «Ich sehe nirgendwo in unserer Gesellschaft ein Tabu, etwas zu diskutieren, das diskutiert werden muss.»

So sei es etwa absolut legitim, sich kritisch mit der Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft zu befassen, findet auch Benz. Diese Kritik solle aber fair und rational sein – ohne pauschale Verurteilungen und Ausgrenzungen.

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