Das letzte Mal, dass eine Präsidentenwahl in Island auch weltweit zu reden gab, war 1980. Damals wählten die Isländerinnen und Isländer in einer knappen Ausmarchung mit Vigdis Finnbogadottir das erste, global in einer direkten Volkswahl gewählte weibliche Staatsoberhaupt.
Finnbogadottir war die erste und bisher einzige Präsidentin Islands. Doch jetzt bewerben sich gleich sechs Frauen neben sechs Männern für die Nachfolge von Präsident Gudni Johannesson. Er tritt nach acht Jahren nicht mehr an.
Frauen laut Umfragen vorn
Gemäss Umfragen können sich gleich drei profilierte Frauen Chancen ausrechnen: die langjährige Ministerpräsidentin und Krimiautorin Katrin Jakobsdottir, die Wirtschaftsexpertin und Bankgründerin Halla Tomasdottir sowie die Energie- und Arktisfachfrau Halla Hrund Logadottir.
Sie sind Teil eines spannenden Wahlkampfs, der in dieser Woche durch ein noch spannenderes Naturereignis in der Aufmerksamkeitsgunst etwas Konkurrenz erhielt: Zum achten Mal innerhalb nur eines Jahres hat sich südlich von Reykjavik die Erde geöffnet. Auf einer Länge von fast vier Kilometern tritt seither glühendes Magma an die Oberfläche.
Immer ein bisschen Ausnahmezustand
Für den erfahrenen Politikexperten Olafur Hardarson von der Universität Reykjavik macht dies ein Markenzeichen des Landes deutlich: «Wir leben hier immer in einer Art Ausnahmezustand.» Und nicht immer seien es Naturgewalten – manchmal seien es die Weltwirtschaft oder die Finanzwelt, die Island in eine Krise stürzten.
«Und ab und zu tun sich aber auch unsere Politikerinnen und Politiker sehr schwer, die richtigen Lösungen für ein Problem zu finden», fährt Hardarson fort. Er analysiert und kommentiert die Entwicklungen in Island seit über vier Jahrzehnten.
Doch auch wenn etwas schiefgeht: Island ist wie ein Stehaufmännchen, das sich immer wieder von Rückschlägen und Krisen erholt. Heute gehört das Eiland im hohen Norden zu den wohlhabendsten, friedlichsten und reichsten Ländern der Welt.
Das Amt ist wichtiger als auch schon
Das historisch betrachtet breiteste und ausgeglichenste Feld der Bewerberinnen und Bewerber für die Präsidentschaft zeigt, so der Politikexperte, dass der Rolle des Staatsoberhauptes im heutigen Island mehr Gewicht und Aufmerksamkeit gegeben wird als je zuvor.
«Die jüngste Vergangenheit hat deutlich gemacht, dass ein isländisches Staatsoberhaupt mehr Macht hat, als wir lange meinten», sagt er. Hardarson verweist unter anderem auf die Möglichkeit des Präsidenten, ein Gesetzesreferendum auszulösen und die Regierung zu entlassen.
Und er betont die zunehmend wichtigere Rolle des Staatsoberhauptes in geopolitisch unruhigen Zeiten.
Wer dieses neue Gesicht wird, welches das abgelegene Land mitten in der Welt in den kommenden vier Jahren steuert, haben die Isländerinnen und Isländer an diesem Wochenende in der Hand.