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Israel schiebt Afrikaner ab «Flüchtlinge werden ausnahmslos als ‹Eindringlinge› bezeichnet»

Die israelische Regierung hat damit begonnen, afrikanischen Flüchtlingen ein Ultimatum zu stellen. Die Einwanderungsbehörde verteilt Ausweisungsverfügungen an unverheiratete, kinderlose Männer. Sie werden aufgefordert, freiwillig innert zweier Monate in einen afrikanischen Drittstaat auszureisen. Ansonsten würden sie auf unbestimmte Zeit in einem Lager inhaftiert.

Die grosse Mehrheit der derzeit rund 39'000 Flüchtlinge in Israel kommt aus Eritrea und Sudan. Rund 19'000 männliche Flüchtlinge sollen nun eine solche Verfügung erhalten, wie Journalistin Inge Günther im Gespräch erklärt.

SRF News: Wohin sollen die männlichen Flüchtlinge gebracht werden?

Sie sollen nach Ruanda gebracht werden. Israel erklärt, es habe mit der ruandischen Regierung eine Vereinbarung getroffen. Die Männer erhalten 3500 Dollar. Allerdings gibt es Zweifel, ob sie in Ruanda tatsächlich einen Aufenthaltsstatus erhalten können.

Weshalb wird das bezweifelt?

Weil einige Flüchtlinge, die Israel bereits freiwillig verlassen haben und nach Ruanda gegangen sind, recht verzweifelte und aussichtslose Situationen schildern. Keiner von ihnen ist in Ruanda geblieben. Alle haben sich in Richtung Norden aufgemacht, um über Libyen und das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.

Netanjahu hat wegen seiner Flüchtlingspolitik keinen Popularitätsverlust zu befürchten – im Gegenteil.

Darf Israel das? Wie ist die Rechtslage?

Israel geht davon aus, dass es das kann. Es gibt aber durchaus auch Einwände, beispielsweise von den UNO-Flüchtlingskommissaren. Sie kritisieren, in den meisten Fällen seien keine Einzelprüfungen erfolgt. Zudem erhalten Flüchtlinge aus Eritrea und Sudan in einer ganzen Reihe von europäischen Ländern zumindest eine Duldung, wenn nicht sogar eine volle Anerkennung als Asylbewerber.

Wie reagiert die israelische Bevölkerung auf die Abschiebepläne?

Sie werden heftig diskutiert. Vielleicht ist es nicht unbedingt die Mehrheit, aber es gibt auch massgebliche Stimmen, etwa linke Hilfsorganisationen, bekannte Filmemacher, Schriftsteller usw., die sagen: «Was ihr da macht, geht nicht.» Gerade weil Israel von Flüchtlingen aufgebaut worden sei, dürfe das Land nicht die Augen vor denen verschliessen, die sich gezwungen sähen, aus ihrer Heimat zu fliehen. Am letzten Freitag gab es eine grosse Erklärung der jüdischen Reformbewegung. Auch einzelne Rabbiner erklärten, notfalls seien sie auch bereit, Flüchtlinge bei sich zu verstecken oder ihnen sonst ein Obdach zu besorgen.

Zum einen geht es darum, dass Israel sich als jüdischer Staat begreift, der zwar Juden aus aller Welt offen steht, aber nicht Nichtjuden.

Warum kann Israel diese 39'000 Flüchtlinge nicht aufnehmen?

Das frage ich mich selber auch. Zum einen geht es sicher darum, dass Israel sich als jüdischer Staat begreift, der zwar Juden aus aller Welt offen steht, aber nicht Nichtjuden. In Israel ist in der Regel nicht von «Asylbewerbern» die Rede, sondern die Flüchtlinge werden ausnahmslos als «Eindringlinge» bezeichnet.

Zum andern ist Israels Politik in Bezug auf die afrikanischen Flüchtlinge sehr unglücklich gelaufen: Die einen wurden in den Armenvierteln im Süden Tel Avivs untergebracht. Das dortige Strassenbild wird nun doch sehr von den Afrikanern dominiert, worüber sich vor allem die israelischen Anwohner beklagen. Die anderen Flüchtlinge wurden in ein Internierungslager in der Negev-Wüste gebracht. Das Lager Holot geriert international in Kritik, weil Flüchtlinge dort eingesperrt werden.

Eine Frau steht am Ende einer Rutschbahn, auf der ein kleines Mädchen runter rutscht. Unter der Rutschbahn liegt ein afrikanischer Flüchtling.
Legende: Präsent im Süden Tel Avivs, und vielen dort ein Dorn im Auge: Flüchtlinge aus Eritrea und Sudan. Reuters

Es gibt also auch Unterstützung für die Politik von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu?

Die Regierung hat eine grosse Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Ihre Abschiebungspläne sind populär. Es gab auch schon Demonstrationen gegen Flüchtlinge. Netanjahu hat wegen seiner Flüchtlingspolitik also keinen Popularitätsverlust zu befürchten – im Gegenteil.

Netanjahu beschuldigte den ungarischen Milliardär und Holocaust-Überlebenden George Soros, die Proteste organisiert zu haben. Wie beurteilen Sie diese Theorie?

Soros selbst hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Es stimme nicht, dass er die Proteste gegen die Ausweisung von Flüchtlingen finanziert habe, erklärte sein Sprecher. Allerdings sagte er auch, Soros halte eine humanitäre Flüchtlingspolitik für geboten.

Ein pikantes Detail: Letztes Jahr hatte Ungarns Präsident Viktor Orban ähnliche Vorwürfe gegen Soros erhoben und eine geradezu verleumderische Kampagne gegen ihn gestartet. Der jüdische Milliardär hat sehr liberale, linke Ansichten und finanziert unter anderem auch zum grossen Teil den New Israel Fund, eine Dachorganisation linker Nichtregierungsorganisationen, der Bürgerrechtsbewegung insbesondere.

Es geht Netanjahu also darum, Soros Glaubwürdigkeit zu demontieren?

Gerade aus dem rechtsnationalen Lager Israels sind bereits mehrere Attacken gegen ihn geritten worden. Soros als ein grosser, einflussreicher Jude in der Diaspora, der doch ganz klar dezidierte Politik betreibt und dafür auch sein Geld einsetzt. Das ist der israelischen Regierung Netanjahus ein Dorn im Auge.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Inge Günther

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Die freie Journalistin arbeitet seit 1996 als Korrespondentin in Jerusalem. Derzeit weilt Günther in Berlin. Für ihre Arbeit erhielt sie 2003 den Sonderpreis für Frieden der Alexander-Stiftung in Frankfurt. 2005 wurde sie vom «Medium-Magazin» unter die zehn besten deutschen Reporter gewählt.

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