In der «Pegasus»-Abhöraffäre sorgt Ungarn für Schlagzeilen. Dort setzt die Regierung von Viktor Orban das israelische Spionage-Programm offenbar dazu ein, um unliebsame Gegner auszuspionieren. Doch die Reaktionen auf die Enthüllungen hielten sich in Grenzen, sagt SRF-Osteuropakorrespondentin Sarah Nowotny.
SRF News: Was weiss man über die mutmassliche Abhöraktion in Ungarn?
Sarah Nowotny: Es sind 70 Smartphones überprüft worden, auf fast 40 von ihnen wurde die Spionagesoftware gefunden oder zumindest Hinweise darauf, dass seit 2018 versucht worden war, das Programm zu installieren. Unter den vom Spionageangriff Betroffenen sind laut ungarischen Medien zwei investigative Journalisten, ein regierungskritischer Geschäftsmann, ein oppositioneller Bürgermeister und ein bekannter Anwalt.
Wie plausibel ist es, dass die ungarische Regierung die Handys von unliebsamen Gegnern hackt?
Das ist inzwischen sehr plausibel. Sowohl ein Ex-Angestellter der israelischen Software-Herstellerfirma NSO als auch ein ehemaliger Mitarbeiter des ungarischen Geheimdienstes haben das bestätigt.
Die Minister sagen, es werde nur mit guten Gründen abgehört.
Zudem haben sich inzwischen die Justizministerin und der Innenminister in der Affäre geäussert – und beide streiten nicht ab, dass die Ausspäh-Vorwürfe den Tatsachen entsprechen. Sie sagen, in Ungarn werde nur mit guten Gründen und nach strengen Regeln abgehört.
Wie glaubwürdig sind diese Aussagen?
Kaum ein westliches Land hat so lasche Überwachungsvorschriften wie Ungarn. Den Behörden ist das Abhören auch ohne zwingende Gründe und ohne jegliche Kontrolle gesetzlich erlaubt.
Was bedeutet das Auffliegen der Abhörtätigkeit für die Journalistinnen und Journalisten in Ungarn?
Die unmittelbar betroffenen Journalisten befürchten, dass ihre Quellen den Behörden jetzt bekannt sind – was natürlich eine Katastrophe ist. Ansonsten dürfte sich für ungarische Medienleute nicht viel ändern: Schon heute treffen sie sich mit ihren Quellen im Wald oder in einem Park, nehmen dabei keine elektronischen Geräte mit und halten die Informationen handschriftlich fest.
Wie berichten die ungarischen Medien über die «Pegasus»-Affäre?
Es sind zwei getrennte, parallele Welten, die kaum mehr miteinander reden: In den regierungskritischen Medien wurde sehr detailliert über «Pegasus» berichtet.
In den regierungsnahen Medien ist die Affäre bloss eine Randnotiz.
Doch in den regierungsnahen Medien ist das Thema bloss eine Randnotiz. Dort heisst es in etwa: Ein paar Linke, die bestimmt nicht so unschuldig sind, wie sie tun, und «gewisse Kreise» blasen die Geschichte auf – und wenn sie überwacht wurden, dann sicher mit gutem Grund. «Pegasus» dürfte denn auch kaum Folgen haben in Ungarn.
Welchen Einfluss hat unabhängiger Journalismus in Ungarn überhaupt noch?
Ganz sicher weniger, als gut wäre für das Land. Da werden Korruptionsfälle in Regierungskreisen aufgedeckt – ohne jegliche Folgen. Das Lager von Ministerpräsident Orban ist einfach zu mächtig. Aus Brüssel heisst es, wenn die Berichte stimmten, sei die Praxis in Ungarn unvereinbar mit der Pressefreiheit.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.