28 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda beginnt in Den Haag das Verfahren gegen den mutmasslichen Drahtzieher. Der 87 Jahre alte Félicien Kabuga soll die Massaker von mindestens 800’000 Menschen finanziert haben.
Kabuga wurde im Mai 2020 in einem Vorort von Paris festgenommen. Er wird beschuldigt, eine Miliz aus Angehörigen der Hutu-Mehrheit aufgebaut zu haben, die massgeblich für den Genozid im ostafrikanischen Land verantwortlich war. Die Gewalt richtete sich vorwiegend gegen Angehörige der Tutsi-Minderheit.
In seinem Heimatland war Kabuga bis zu seiner Flucht einer der reichsten Menschen. Er präsidierte den Radiosender RTLM, der mit Popmusik und rassistischer Hetze den Völkermord anfachte. «Auf dem Sender wurde dazu aufgerufen, Tutsi zu töten. Sie wurden im Radio als Kakerlaken bezeichnet, die man ausrotten müsse», berichtet Anna Lemmenmeier.
Die Afrika-Korrespondentin von SRF hat im Vorfeld des Prozesses mit vielen Menschen im Land gesprochen. «Obwohl der Name Félicien Kabuga allen geläufig ist und man weiss, was ihm vorgeworfen wird: Vielen war nicht bewusst, dass der Prozess heute beginnt.» Die Verhaftung Kabugas vor zwei Jahren habe dagegen ungleich höhere Wellen geworfen.
Wichtiges Puzzleteil bei der Aufarbeitung
In Ruanda herrsche aber grosse Einigkeit, dass der Prozess in Den Haag wichtig sei. Nicht zuletzt für die Vergangenheitsbewältigung in dem afrikanischen Land. Denn das Grauen von damals ist auch nach einem Vierteljahrhundert unvergessen.
«Der Prozess ist ein wichtiges Puzzleteil bei der Aufarbeitung des Völkermords», sagt die SRF-Korrespondentin. Im Ruanda-Tribunal der 1990er- und 2000er-Jahre gab es bereits viele Verfahren mit insgesamt 61 Schuldsprüchen.
Nach Ende des Tribunals wurde beschlossen, dass weitere Verantwortliche für den Genozid am Nachfolgegericht in Den Haag der Prozess gemacht werden soll. «Und nicht etwa in Ruanda, wie es sich dort viele Menschen gewünscht hätten», so Lemmenmeier.
Gibt es so etwas wie Vergebung zwischen den Volksgruppen? Eine schwierige Frage, findet Lemmenmeier. «Es gab die Gacaca-Gerichte in Dörfern, an denen sich Opfer und Täter gegenüberstanden. Die Leute sagen mir, dass sie heute alle Ruanderinnen und Ruander seien und es keine Hutu und Tutsi mehr geben würde.»
Als ausländische Journalistin ist es entsprechend schwierig zu erfahren, was die Menschen tatsächlich denken.
Zur juristischen und persönlichen Aufarbeitung kommt aber die politische Dimension: Das Narrativ, das Langzeitherrscher Paul Kagame erfolgreich installiert hat. Er marschierte 1994 als Rebellenführer in Ruanda ein. «Kagame legitimiert seine Macht damit, dass er den Genozid beendet und Ruanda aufgebaut hat.»
In der Öffentlichkeit gebe es heute nur eine gültige Version der jüngeren Geschichte, schliesst Lemmenmeier: «Alles ist gut – und das dank Präsident Kagame. Als ausländische Journalistin ist es entsprechend schwierig zu erfahren, was die Menschen tatsächlich denken.»