Im Café «Zum Gericht» gegenüber dem Justizpalast in Istanbul herrscht Hochbetrieb. Die Gerichte sind überlastet, die Verhandlungen verzögern sich oft um Stunden.
Zwischen den Anwälten, Zeugen und Angehörigen, die im Café die Zeit totschlagen, sitzen an einem hinteren Tisch zwei Frauen – die eine jünger und rothaarig, die andere älter, mit grauem Pferdeschwanz und bunter Strickjacke.
Sie warten darauf, dass die 14. Schwurgerichtskammer ihren Rückstand aufholt und den Mordfall an einer Hausfrau und Mutter aufruft.
Ich nutze meine Freizeit, um für die Frauenvereinigung als Beobachterin an Prozessen wegen Morden an Frauen teilzunehmen.
Zeit müsse man dafür schon haben, sagt die jüngere Frau – sie heisst Duygu Bayburt und ist Linienpilotin. «Ich nutze meine Freizeit, um für die Frauenvereinigung als Beobachterin an solchen Prozessen teilzunehmen», sagt sie.
Duygu sprich von der Vereinigung «Wir stoppen die Frauenmorde». In der Bewegung haben sich tausende Frauen in der ganzen Türkei zusammengetan, um der Gewalt gegen Frauen entgegenzutreten. Jedes Jahr werden hunderte Frauen von ihren Ehemännern oder Partnern getötet.
Späteres Mordopfer erhielt keine Hilfe
Dazu zählt wohl auch die Hausfrau und Mutter Ayten Adigüzel, deren Ehemann dafür jetzt vor Gericht steht. Es sei ein relativ typischer Fall, sagt Oya Ucar, die ältere der beiden Frauen im Café.
Ayten sei schon lange von ihrem Mann bedroht worden, habe aber keine Hilfe erhalten, obschon es eigentlich Gesetze dafür gäbe. «Unser Problem ist, dass diese Bestimmungen von den Behörden nicht ausreichend angewandt werden», so Oya.
Manchmal ist es tatsächlich unsere Anwesenheit, die den Ausschlag beim Strafmass gibt.
Nicht selten kommen Frauenmörder mit wenigen Jahren Haft davon. Die Prozessbeobachterinnen wollen deshalb Öffentlichkeit herstellen und die Richter unter Druck setzen, das Strafrecht voll auszuschöpfen.
Das bringe durchaus etwas, sagt Duygu. «Manchmal ist es tatsächlich unsere Anwesenheit, die den Ausschlag beim Strafmass gibt.»
Am frühen Nachmittag ist es endlich so weit. Vor dem Gerichtssaal umarmen die beiden Beobachterinnen die Angehörigen der getöteten Frau, dann geht es los.
Der angeklagte Ehemann wird von Gefängniswärtern vorgeführt. Seine Frau habe sich während eines Ehestreites selbst erschossen, gibt er an. Das Gericht hört ein paar Zeugen an und vertagt die Verhandlung.
Zwölf Jahre Gefängnis für einen Mord
Draussen auf der Strasse packen die beiden Prozessbeobachterinnen Plakate aus und stellen sich mit den Angehörigen der getöteten Frau vor den Justizpalast: «Du bist nicht allein», steht auf den Plakaten.
Ein paar Reporter sind erschienen. «Neulich ist wieder ein Frauenmörder mit zwölf Jahren davongekommen. Ein Mensch ist tot, hat sein Leben verloren – was sind da schon zwölf Jahre? Wir wollen, dass der Mörder meiner Schwester lebenslang bekommt», sagt eine Schwester der Toten in ihre Mikrofone.
Wenn der Mord nicht durch die Frauenplattform publik gemacht worden wäre, dann wäre er ganz sicher vertuscht worden.
Duygu und Oya verabschieden sich von der Familie. Eine Cousine umarmt sie beide und bedankt sich: «Wenn der Mord an Ayten nicht durch die Frauenplattform publik gemacht worden wäre, dann wäre er ganz sicher vertuscht worden», sagt sie. Einige Monate später wird der Täter tatsächlich zu lebenslanger Haft ohne Strafnachlässe verurteilt.
Im Café «Zum Gericht» rührt Oya Zucker in ihren Tee. Sicher sei ihr Einsatz wichtig, sagt sie. Doch gerade das zeige, wie schlimm es in der Türkei um die Gerechtigkeit für Frauen bestellt sei. «Eigentlich sollte es doch nicht notwendig sein, dass wir anwesend sind, damit ein Mörder bestraft wird. Da stimmt doch etwas nicht.»