Bei Kaffee, Kuchen und Butterbrezeln warteten die Gäste auf den grossen Moment in der Stadthalle Cottbus. Regionalzeitungen haben aus 450 Anmeldungen 150 ausgelost.
Auch Silvia Noack hat sich beworben – mit Erfolg. «Man muss die Rechte, die man hat, auch mal nutzen und kann nicht immer nur meckern», sagt sie zu ihrer Teilnahme am «Kanzlergespräch» in der Stadt im Osten Deutschlands. «Das hier ist beste Gelegenheit. Näher kommt man nicht ran an das grosse Geschehen.»
«Es ist immer so, dass die Kleinen bezahlen»
Silvia Noack ist sehr zufrieden mit dem Kanzler. Eckhart Kloos ist es jedoch nicht. «Ich bin nur aus Neugier hier. Ich hab keine Frage, ich gucke mir das nur an», erklärt er. Alles, was zurzeit passiere, sei gegen die Bevölkerung. «Ob es das grüne Zeug oder der Krieg ist – ausbaden tun wir es. Es ist immer so, dass die Kleinen bezahlen.»
Es dürften einige diese Haltung geteilt haben. «Dass der sich hier hintraut», sagte ein junger Mann zu seinem Sitznachbarn über Scholz. Womöglich war man auf eine raue Tonlage gefasst, hier im Osten in der Stadthalle, wo sonst Schlagerkonzerte für – meistens – harmonische Töne sorgen. Aber es blieb ruhig, anständig, konzentriert – der Kanzler nahbar.
Der Kanzler und der Krieg
Nach wenigen Minuten schon war der Ukraine-Krieg Thema. Eine Frau fragte den Kanzler, was falsch daran sei, auf Verhandlungen mit Russland zu setzen und diese «mit derselben Energie voranzutreiben wie Waffenlieferungen».
Er spreche als einer der wenigen noch mit dem russischen Präsidenten, erklärte Scholz. Aber: «Wenn man von Verhandlungen spricht, kann das kein Diktatfrieden sein. Es verhandelt sich schlecht mit der Waffe an der Schläfe.» Das Verhandlungsziel müsse sich mit der Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen in der Ukraine vereinbaren lassen, die für ihr Land kämpfen würden.
Es ist eine falsche, absurde Theorie, Deutschland als Vasallenstaat zu bezeichnen.
Dann kam der Anhänger einer verqueren Verschwörungstheorie zu Wort: «Deutschland, also die BRD, ist ja nach wie vor kein souveräner Staat, Herr Bundeskanzler. Und wenn ich die Entscheidungen der letzten Jahre beobachte, ist unschwer zu erkennen, dass wir ein Vasallenstaat der USA sind.»
Kanzler Scholz konterte höflich, aber bestimmt: «Schönen Dank für Ihre Frage. Sie können sich vorstellen, dass ich nicht überzeugt bin, dass Sie recht haben. Aber ich will Ihnen gerne auf ihre Frage antworten.» Erstens sei Deutschland ein souveräner Staat, stellte Scholz klar und berief sich auf die historischen Vereinbarungen mit den Alliierten und die Errungenschaften der Wiedervereinigung.
«Volle Punktzahl» von unerwarteter Seite
Die Souveränität Deutschlands sei «endgültig und in jeder Hinsicht rechtlich abgesichert», so der Kanzler. «Es ist eine falsche, absurde Theorie, Deutschland als Vasallenstaat zu bezeichnen. Und zweitens sind wir freiwillig eine Demokratie.» Und ergo auf die Zusammenarbeit mit anderen Demokratien angewiesen.
Vielen fiel auf, dass der Kanzler wortgewandt konkreten Antworten auswich. Aber das Format – «auf Augenhöhe», wie es heisst – fand grossen Anklang.
Jener Mann, der Deutschland für nicht souverän hält, war mit der Scholzschen Antwort zwar nicht zufrieden, aber selbst er konnte diesem Auftritt des Kanzlers doch eine gute Seite abgewinnen. «Es hat mich positiv überrascht, dass er auf diese Fragen so umfangreich geantwortet hat. Volle Punktzahl.»