«Sie belauern sich, sie lästern übereinander»: Laut dem «Spiegel» hängt der Haussegen im politischen Berlin derzeit schief. Ein Muster davon lieferte die grüne Aussenministerin Annalena Baerbock am letzten Samstag.
An der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst frotzelte sie: «Meine Berater haben mir gesagt: Bitte keine Witze über den Bundeskanzler. Und vor allem: Bitte keine Versprecher. Aber: Keine Versprecher macht man ja nur, wenn man gar nichts sagt. Und das können andere offensichtlich besser als ich.»
Die Nato im Krieg mit Russland?
Mehr oder weniger verklausuliert spielte Baerbock damit auf «Zauder-Kanzler» Olaf Scholz an, der sich bei der militärischen Unterstützung für die Ukraine wiederholt wand. Baerbock steht dagegen für forsche – und zuweilen undiplomatische – Töne.
Ende Januar sorgte sie vor dem Europarat in Strassburg für Aufsehen. Mit folgenden Worten rief sie zum Zusammenhalt der westlichen Verbündeten auf: «We are fighting a war against Russia and not against each other.» (dt.: «Wir führen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander»).
Die russische Propaganda schlachtete den Satz aus. Kanzler Scholz pfiff seine Aussenministerin prompt zurück: Es werde unter keinen Umständen zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland kommen. «Das ist für uns ausgeschlossen. Wir werden alles tun, dass es nicht passiert.»
Auch das Auswärtige Amt ruderte zurück und stellte klar, dass Baerbock keine Kriegsbeteiligung Deutschlands oder seiner Verbündeten gemeint habe.
«Baerbocken» statt «scholzen»
Was ist los im Berliner Machtzentrum? Claudia Kade, Politik-Chefin bei der «Welt», sieht zwei fast schon unvereinbare Persönlichkeiten am Regierungsruder. «Scholz ist eher verschlossen. Er möchte der besonnene, bedächtige Kanzler sein, der sich nicht in die Karten schauen lässt.».
Das führt auch zu Kritik. So muss sich Scholz immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, er erkläre seine Politik gegenüber der Bevölkerung zu wenig.
Wenn man seinen Vertrauten glauben kann, hat Scholz für Baerbocks Politikstil nur Verachtung übrig.
Ganz anders Aussenministerin Baerbock: Sie legt die Karten mit Vorliebe offen – sehr zum Unmut des Kanzlers. In Bürgerdialogen will sie die politischen Entscheide in Berlin transparent machen. Auf internationalen Konferenzen erklärt sie wortreich die deutsche Sicherheits- und Aussenpolitik.
Baerbock agiere weit redseliger und emotionaler als Scholz – und sei damit auch angreifbarer, sagt Kade. Der Kanzler finde diesen Politikstil «grundfalsch»: «Wenn man seinen Vertrauten glauben kann, hat Scholz dafür nur Verachtung übrig.»
Kakophonie aus Berlin
Inhaltlich brodelt es offenbar immer wieder zwischen Scholz und Baerbock, wenn es um das deutsche Verhältnis zu Russland geht. Während Scholz mit Putin spricht, spricht Baerbock über Putin.
Derzeit sondiert Baerbock Möglichkeiten, wie der Kreml-Chef wegen russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine vor ein Sondertribunal gestellt werden könnte. Auch im Verhältnis zu China gibt Scholz den Pragmatiker, Baerbock will dagegen eine wertegeleitete Politik.
Der Streit ums «Zeitenwende»-Papier mag als Posse in die Annalen der Bundesrepublik eingehen. Der Zwist auf höchster Regierungsebene sendet aber insgesamt problematische Signale aus Berlin in die Welt.
Die aussenpolitische Lage sei mit Blick auf Russland, aber auch China, brisant, schliesst Kade. «Wenn Deutschland in dieser Situation mit unterschiedlichen Stimmen spricht, bietet es Angriffsfläche.»