Es ist Jahre her, seit Carles Puigdemont in den Schlagzeilen stand. Er ist immer noch Führer der katalanischen Separatisten, die 2017 für die Region ein Unabhängigkeitsreferendum lancierten. In Katalonien wurde das Referendum angenommen, Spanien stürzte in eine Verfassungskrise, und am Ende musste Puigdemont fliehen, um einem Haftbefehl zu entgehen. Seither lebt er in Brüssel. Vom Staat wurde er ignoriert – bis er gestern plötzlich Besuch von einem Regierungsmitglied erhalten hat. Julia Macher, freie Journalistin in Spanien, ordnet die Visite ein.
SRF News: Warum spielt Puigdemont jetzt wieder eine Rolle in der spanischen Politik?
Julia Macher: Puigdemont ist weiterhin die grosse Führungsfigur der katalanischen separatistischen Partei Junts, wenn auch nicht deren offizieller Vorsitzender. Diese Partei hat bei den spanischen Parlamentswahlen im Juli sieben Mandate erzielt. Und diese Stimmen sind angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse notwendig für die Wahl eines neuen spanischen Premiers. Junts, sprich: Puigdemont, ist also das Zünglein an der Waage. Ohne ihn geht es nicht, ohne ihn gibt es keine Mehrheit.
Gestern hat er Besuch von der zweiten spanischen Vizepräsidentin Yolanda Díaz erhalten. Was haben sie besprochen?
Es gab nach der dreistündigen Versammlung nur ein knappes Communiqué. Darin hiess es, dass es um die Suche nach demokratischen Lösungen gegangen sei, also um mögliche Bedingungen für die Unterstützung einer Neuauflage der amtierenden Linkskoalition. Wichtig ist vielleicht, dass Diaz nicht im offiziellen Auftrag der Regierungskoalition anreiste – wohl um Polemiken zu vermeiden. Sondern sie kam als Chefin des linken Bündnisses. Summa summarum ist allerdings sie mit den Verhandlungen mit den Separatisten beauftragt.
Puigdemont könnte verpflichtende Verhandlungen für ein diesmal von Spanien anerkanntes Referendum fordern.
Wenn einer etwas will, kann der andere auch etwas verlangen. Was ist von Puigdemont zu erwarten?
Während die katalanischen Linksrepublikaner, also die andere separatistische Partei, ihre Bedingungen schon genannt haben, sind die Forderungen von Junts noch offen. Und diese beiden katalanischen Parteien konkurrieren miteinander um das separatistische Lager. Puigdemont könnte also einen Schritt weitergehen und etwa verpflichtende Verhandlungen für ein diesmal von Spanien anerkanntes Referendum fordern.
Puigdemont kommt jetzt quasi aus dem Nichts, ist plötzlich Königsmacher. Wie kommt das in Spanien an?
Von der Opposition hagelt es Kritik. Die konservative Volkspartei PP und die rechtsextreme Vox haben die Reise nach Brüssel als «Skandal» bezeichnet. Das hat allerdings ein «Geschmäckle». Denn natürlich stehen auch die Konservativen mit Junts in Kontakt. Schliesslich braucht auch der konservative Premierkandidat Alberto Núñez Feijóo die Stimmen der Partei der separatistischen Katalanen. Allerdings spreche seine Partei nicht mit Puigdemont persönlich, so ein Sprecher, sondern nur mit gewählten Abgeordneten seiner Partei. Und das sei ein Unterschied so gross wie ein Ozean.
Es gibt immer noch Katalaninnen und Katalanen, die von einer unabhängigen Republik um jeden Preis träumen.
Mit Puigdemont ist die Unabhängigkeitsbewegung zurück im Rampenlicht. Wie kommt das dort an?
Gespalten. Die Unterstützung für ein unabhängiges Katalonien ist klar gesunken. Es gibt aber immer noch Katalaninnen und Katalanen, die von einer unabhängigen Republik um jeden Preis träumen. Und diese Menschen blicken teils eher skeptisch auf die Verhandlungen mit dem «unterdrückerischen spanischen Staat». Sie fürchten, der Preis, den die Separatisten jetzt verlangen, könnte zu niedrig sein.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.