Es ging Schlag auf Schlag diese Woche. Zuerst war da dieses Interview, das der armenische Premier der italienischen Zeitung «La Repubblica» gab. Russland ziehe sich aus der Region zurück, so Nikol Paschinjan: «Eines Tages werden wir aufwachen und Russland ist nicht da.».
Aus dem Kreml hiess es daraufhin: Russland sei integraler Teil der Region, Russland könne Armenien gar nicht verlassen. Dann wurde bekannt, dass Armenien humanitäre Hilfe in die Ukraine schickt – das erste Mal seit Beginn des russischen Angriffskrieges. Und schliesslich will Armenien schon nächste Woche eine gemeinsame Militärübung mit den USA abhalten.
Bittere Enttäuschung der Armenierinnen und Armenier
Das kommt in Moskau nicht gut an, betrachtet man doch Armenien als Vasallen, den man in der Hand hat. Offiziell ist Armenien zwar ein Verbündeter und gehört dem von Russland angeführten Militärbündnis OVKS an. Doch Moskau lieferte jahrelang Waffen an Aserbaidschan. Moskau erfüllte auch seine Beistandspflichten nicht, als Aserbaidschan auf armenisches Territorium eindrang.
Und auch im Konflikt um Bergkarabach verhält sich Russland passiv: Die dort stationierten russischen Friedenstruppen lassen es zu, dass Aserbaidschan den Zugang zum Berggebiet seit Monaten blockiert. Die Armenier und Armenierinnen, die bisher grösstenteils moskaufreundlich gesinnt waren, sind von der einstigen Schutzmacht bitter enttäuscht.
Abwendung Armeniens als Hilferuf?
Deshalb schaut sich Eriwan nach anderen Partnern um. Es kauft Waffen von Indien – statt wie bisher von Russland – und hat eine EU-Beobachtermission ins Land gebeten. Und man setzt stark auf die Vermittlung der EU und den USA im Konflikt mit Aserbaidschan. Gleichzeitig versuchte die armenische Führung lange, Moskau nicht allzu sehr zu verärgern.
Nun aber sendet Eriwan das Signal an die EU und die USA, dass es sich ernsthaft von Moskau abwenden will. Das alles wirkt aber auch wie ein Hilferuf, denn man rechnet in Armenien damit, dass ein erneuter aserbaidschanischer Angriff bevorsteht. Es häufen sich die Anzeichen, dass Aserbaidschan um Bergkarabach herum Truppen und Militärmaterial zusammenzieht.
Grosse Verärgerung in Moskau
In Moskau ist die Verärgerung gross. Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass sieht der Kreml die Verlautbarungen der armenischen Führung als Folge westlicher Einmischung und als Versuch, Russland aus dem Südkaukasus zu vertreiben. Dabei hat Moskau durch sein eigenes Verhalten dazu beigetragen, dass sich Armenien abwendet. Doch Russland hat nach wie vor viele Hebel in Armenien: Es hat Truppen im Land stationiert und besitzt einen Teil der wirtschaftlichen Infrastruktur. Und es kann Aserbaidschan noch stärker unterstützen als bisher. Die Ablösung von Russland ist für Armenien mit vielen Risiken verbunden.