Im Konflikt um Bergkarabach im Südkaukasus tut sich etwas. Offenbar ist Armenien bereit, die umstrittene Region Aserbaidschan abzugeben, wenn sich Baku dazu verpflichtet, die Sicherheit der armenischen Bevölkerung in Bergkarabach zu garantieren. Die Hintergründe des Konflikts kennt der Osteuropa-Experte Stefan Meister.
SRF News: Warum ist Armenien jetzt plötzlich bereit, Bergkarabach aufzugeben?
Stefan Meister: Armenien hat den zweiten Krieg um Bergkarabach im Jahr 2020 verloren. Es musste sich von den im ersten Krieg eroberten aserbaidschanischen Gebieten zurückziehen, Aserbaidschan wurde nur durch das Eingreifen Russlands gestoppt.
Armenien hat eigentlich keine andere Wahl, als Bergkarabach aufzugeben.
Armenien ist also militärisch und sicherheitspolitisch unter Druck – und hat eigentlich keine andere Wahl, als die Kontrolle über die Region aufzugeben.
Gab es schon früher Anzeichen, dass Armenien Bergkarabach abtreten könnte?
Diese Diskussion wird seit rund einem Jahr geführt. Premierminister Nikol Paschinjan hat schon mehrfach deutlich gemacht, dass er die Kontrolle über Bergkarabach abgeben wird. Jetzt ist dazu lediglich ein offizielles Statement erfolgt, um Druck auszuüben und in irgendeiner Form internationale Garantien für die in Bergkarabach lebenden Armenier zu erhalten.
Ist Aserbaidschan bereit, die Forderung zu erfüllen?
Nein. Für Baku ist das Thema Bergkarabach bereits erledigt, das Gebiet ist aus Sicht Aserbaidschans integraler Bestandteil des Landes.
Bergkarabach ist aus Sicht Aserbaidschans bereits integraler Bestandteil des Landes.
Auch gebe es in Bergkarabach kein Sicherheitsproblem für Armenier, sagt Baku. Laut Verfassung hätten Armenier und Aserbaidschaner die gleichen Rechte. Deshalb seien Sicherheitsgarantien nicht nötig oder relevant.
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Welche Folgen hat das Abtreten der Region für die Armenier in Bergkarabach?
Es geht um die persönliche Sicherheit der Armenier: Im Krieg Ende 1980er- und Anfang 1990-er Jahre gab es Zehntausende Tote und Hunderttausende Vertriebene. Folgen waren ein sehr starkes Nationbuilding und ein Hass gegenüber der jeweils anderen Kultur.
Die Gefahr, dass Menschen vertrieben oder getötet werden, ist sehr gross.
Die Gefahr, dass es nun zu Racheakten an den Armeniern in Bergkarabach kommt, ist deshalb sehr gross – Menschen werden vertrieben oder getötet. Das ist auch in jenen Gebieten geschehen, die Armenien vor dem letzten Krieg kontrolliert hatte und jetzt aserbaidschanisch sind – die dort lebenden Armenier wurden grösstenteils eliminiert.
Wie sehen Sie die Chancen, dass der Konflikt um Bergkarabach jetzt befriedet werden kann?
Die Chancen, dass es zu einer Einigung zwischen Baku und Eriwan kommt, sind derzeit relativ gering. Aserbaidschan sieht keinerlei Gründe dafür, nachzugeben. In Baku gibt es keine Kompromissbereitschaft, etwa internationale Beobachter oder Friedenstruppen nach Bergkarabach zu lassen, die die Sicherheitsgarantien durchsetzen könnten.
Das Gespräch führte Nicola Bär.