Irgendwann ist es genug. Irgendwann kommt der Tropfen, der das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringt. Für den spanischen Regierungschef Pedro Sánchez kam der Moment, als eine rechtsgerichtete Organisation seine Frau beschuldigte, korrupt zu sein. «Manos Limpias» heisst die Organisation, «saubere Hände». Deren Chef war schon oft vor Gericht, weil er Falschinformationen verbreitete und Politikerinnen und Politiker mit Vorwürfen überzog, die dann in sich zusammenbrachen.
Nun ist Sánchez kein Politanfänger. Seit 2018 ist er Ministerpräsident Spaniens, zuvor Parteichef seiner Sozialdemokraten. Sánchez kennt die Anfeindungen, die Angriffe, die Hinterzimmerspiele der politischen Gegnerinnen und Gegner. Er weiss um die Hitze in der Küche. Politik ist kein Ponyhof. Doch jetzt ging es gegen seine Familie, gegen seine Ehefrau.
Ein Ministerpräsident im «Warnstreik»
Da trat Sánchez in einen «Warnstreik». Fünf Tage lang wolle er sich Zeit nehmen und überlegen, ob er Ministerpräsident bleiben will oder nicht. Dies, obwohl die Staatsanwaltschaft schon mitteilte, nicht ermitteln zu wollen. Übers Wochenende demonstrierten Genossinnen und Genossen in ganz Spanien für ihn, die Solidarität war gross. Und die Frage wurde heiss diskutiert: Was muss sich ein Politiker, eine Politikerin, eigentlich alles bieten lassen?
Natürlich war genau das die Absicht Sánchez’. Natürlich wollte er gestärkt aus der Sache hinausfinden. Sánchez ist ein Profi, der weiss, wie eine PR-Maschine ins Laufen gebracht wird.
Immer mehr Anfeindungen in vielen Ländern
Aber Sánchez trifft auch einen wunden Punkt, der nicht nur in Spanien schmerzt: Wo verläuft die Grenze der Politik, des Respekts, des Anstands, die Grenze des Privaten? Eine Grenze, die weltweit erodiert.
Der ehemalige US-Präsident Donald Trump setzte neue Massstäbe, wenn es ums Austeilen geht. In Frankreich wollen immer weniger Bürgerinnen und Bürger ein politisches Amt übernehmen, wegen der Anfeindungen und Lügen, die immer persönlicher werden, immer näher ans Private kommen. Wenn das eigene Auto im Vorgarten abgefackelt wird, ein schreiender Mob vor der Haustüre Verwünschungen ruft, dann steigt die Angst und es stellt sich die Frage: «Warum tue ich mir das an?»
Bewirkt Sánchez’ «Warnstreik» etwas?
Die Frage in Spanien wird sein: Bewirkt Sánchez’ Fünf-Tage-Streik etwas? Strahlt die Diskussion sogar in andere Länder aus? Gibt er Politikerinnen und Politikern auch anderswo Kraft, sich zu wehren und zumindest annäherungsweise so etwas wie Sachlichkeit zurückzubringen aufs politische Parkett?
Man möchte hoffen: Ja. Doch man ahnt, befürchtet: Nein. Es wird weiter tropfen in die Fässer. Und das eine oder andere wird wieder überlaufen.