Infolge der Teil-Mobilmachung von Russlands Präsident Wladimir Putin haben viele Menschen Russland verlassen. Einige davon, weil sie sonst von der russischen Armee eingezogen würden und im Krieg in der Ukraine kämpfen müssten.
Nicht alle Zielstaaten zeigen allerdings eine Willkommenskultur. Während beispielsweise Deutschland offen ist für die Fahnenflüchtigen, sagen die baltischen Länder und Polen kategorisch Nein. Auch Finnland steht der Aufnahme russischer Deserteure ablehnend gegenüber.
Doch haben politisch Verfolgte nicht Anrecht auf Schutz in diesen Ländern? Und was sagt das Völkerrecht zur derzeitigen Situation? Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern, ordnet ein.
SRF News: Russen werden politisch verfolgt, weil sie sich weigern, in den Krieg zu ziehen. Kann man sie als Flüchtlinge bezeichnen?
Alberto Achermann: Ja. Wenn eine Person wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt wird, hat sie die Flüchtlingseigenschaft gemäss Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt. Stimmen die derzeitigen Berichte, wonach Russen, die sich dagegen wehren, gegen die Ukraine in den Krieg zu ziehen, mit hohen Haftstrafen von bis zu 15 Jahren bestraft werden, beweist der Staat damit, dass er diese Personen als seine Feinde betrachtet, sie also aus politischen Gründen verfolgt.
Dieser sogenannte «Politmalus» – also eine strafrechtliche Sanktion, die diskriminierend, willkürlich oder unverhältnismässig ist – ist jeweils ein starker Indikator für eine Verfolgung.
Welche Strafe für Fahnenflüchtige wäre denn verhältnismässig?
Das kann man pauschal nicht sagen, 15 Jahre sind aber definitiv zu viel. Es ist aber nicht nur die Dauer der Haftstrafe relevant. Rechtlich stellen sich auch Fragen, wie die Lebensbedingungen dieser Menschen dann aussehen werden. Werden sie in Lager gesteckt? Werden ihre Menschenrechte in der Haft gewährleistet? Droht ihnen sogar ein Einsatz an der Front? Die Indizien zeigen aber an, dass russische Wehrdienstverweigerer vom Regime verfolgt werden.
Nun haben aber vereinzelt Staaten signalisiert, russische Deserteure kategorisch nicht aufzunehmen. Wäre nicht zumindest ein Asylverfahren angezeigt?
Es ist ein Bruch von Völkerrecht, wenn Menschen in ein Land zurückgewiesen werden, wo ihnen Verfolgung oder Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Wir sprechen hier vom sogenannten Refoulement-Verbot und bewegen uns im zwingenden Völkerrecht, also dem Rechtsbereich, der unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf. Das Refoulement-Verbot ist übrigens auch dann verletzt, wenn man die Menschen an der Grenze kategorisch abweist.
Die potenziellen Zielstaaten befürchten aber, dass das russische Regime versucht, unter dem Deckmantel der Flüchtlingsbewegung ihre innere Sicherheit zu untergraben, indem sie beispielsweise Agenten des Regimes einschleusen.
Das Stellen eines Asylantrags bedeutet nicht, dass dieser Person automatisch Schutz gewährt werden muss. Die Staaten müssen aber den Einzelfall prüfen. Wenn sich bei dieser Prüfung herausstellt, dass es sich beim Gesuchsteller um einen russischen Agenten oder ähnliches handelt, wäre dies ein offensichtlicher Missbrauchsfall.
Eine generelle und pauschale Ablehnung dieser Menschen stellt einen klaren Bruch von zwingendem Völkerrecht dar.
Diese Person würde dann nicht als Flüchtling gelten und könnte selbstverständlich abgewiesen werden. Eine generelle und pauschale Ablehnung dieser Menschen stellt aber einen klaren Bruch von zwingendem Völkerrecht dar.
Das Gespräch führte Pascal Studer.