Die jungen Russen werden direkt von der Universität abgeholt und von Uniformierten in die Kaserne gebracht. Auf Videos in sozialen Medien, zum Beispiel in Sibirien, sieht man junge Männer, die für den Militärdienst eingezogen werden. Sie sollen als Kanonenfutter an die Front in die Ukraine.
In der Schweiz werden Stimmen laut, russischen Männern, die nicht in den Krieg wollen, zu helfen. SP-Nationalrätin Céline Widmer fordert eine zeitlich begrenzte Einführung des Botschaftsasyls für russische Kriegsdienstverweigerer und Regimegegnerinnen.
So könnten sie vor Ort einen Asylantrag in einer Schweizer Botschaft stellen. «Vielen Russen ist es nicht möglich, in den Schengenraum und in die Schweiz einzureisen und hier einen solchen Antrag zu stellen.»
Zeichen der Staatszersetzung?
Mitte-Nationalrätin Marianne Binder-Keller freut sich über die Fluchtbewegungen. Sie sieht das als Zeichen einer beginnenden Staatszersetzung in Russland. Sie verstehe jeden, der sich der Einberufung entziehen wolle. «Wenn mein Sohn in den Krieg ziehen müsste, wäre ich auch unglaublich bestürzt.»
Das könnte zu Konflikten führen, die wir als Gesellschaft nicht verkraften würden.
Doch eine allzu schnelle und vereinfachte Aufnahme lehnt Binder-Keller ab. Die Gefahr bestehe, dass so auch von der Staatspropaganda indoktrinierte Russen in die Schweiz kommen könnten. Schliesslich ist nicht jeder Russe, der nicht in den Krieg will, automatisch auch ein Gegner des Putin-Regimes.
Konfliktpotenzial mit Ukrainern
Die SVP lehnt das Botschaftsasyl aus grundsätzlichen Gründen ab. Nationalrätin Barbara Steinemann befürchtet eine Sogwirkung.
Schon jetzt lebten über 60'000 Ukrainerinnen in der Schweiz, sagt sie. «Wenn wir nun Zehntausende von der Gegenseite ins Land lassen würden, könnte das zu Konflikten führen, die wir als Gesellschaft nicht verkraften würden.»
Das von der SP geforderte Botschaftsasyl ist rechtlich gar nicht mehr vorgesehen. Es wurde Anfang der 2010er Jahren aus dem Asylgesetz gestrichen, das Volk stimmte dem zu. Und auch Militärdienstverweigerung ist für sich allein kein Asylgrund mehr. Es braucht zusätzliche Fluchtgründe.
Als Alternative zum Botschaftsasyl hat die Schweiz die Möglichkeit, bedrohte Personen mit dem sogenannten humanitären Visum ins Land zu holen. Die Hürden sind hier aber hoch. Antragstellerinnen und Antragsteller müssen unmittelbar, ernsthaft und sehr konkret an Leib und Leben gefährdet sein.
Wenn jemand beweisen kann, dass er an Leib und Leben bedroht ist, weil er desertiert, ist das sicher zu prüfen.
Zudem wäre eigentlich auch ein Bezug der Person zur Schweiz erwünscht. Deswegen werden humanitäre Visa selten gewährt. Sie sind für Barbara Steinemann von der SVP denn auch keine Option.
Hohe Hürden beim humanitären Visum
Offener ist da Marianne Binder-Keller (Mitte/AG): «Wenn jemand beweisen kann, dass er an Leib und Leben bedroht ist, weil er desertiert, ist das sicher zu prüfen.»
Auch für SP-Politikerin Céline Widmer wäre das humanitäre Visum ein gangbarer Weg. Sie kritisiert aber die hohen Hürden, vor allem der als Bedingung vorgesehene Bezug der Person zur Schweiz. «Das ist ein zu grosses Ausschlusskriterium.»
Das Staatssekretariat für Migration schliesst humanitäre Visa für Deserteure nicht prinzipiell aus. Es schreibt auf Anfrage: «Die Schweizer Botschaft in Moskau ist offen und allfällige Gesuche von russischen Staatsangehörigen werden bearbeitet.»
Das klingt nicht nach einem prinzipiellen «Njet». Doch die Hürden für ein humanitäres Visum bleiben hoch. Vielleicht zu hoch.