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Was bedeutet die Teil-Mobilmachung konkret?
Aus Echo der Zeit vom 21.09.2022. Bild: Russian Presidential Press Service via AP
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Teil-Mobilmachung in Russland «Die Kräfte sind knapp – aber eine Erweiterung dauert»

Russlands Präsident Wladimir Putin ruft die Teil-Mobilmachung aus und droht mit Atomwaffen. Politisch sei die Ankündigung riskant, sagt SRF-Redaktor David Nauer. Und militärisch? Experte Wolfgang Richter erklärt, welchen Einfluss dieser Schritt auf den Kriegsverlauf haben könnte.

Wolfgang Richter

Sicherheitsexperte

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Wolfgang Richter ist Sicherheitsexperte beim Geneva Center for Security Policy. Davor war er Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Er ist ehemaliger Oberst der deutschen Bundeswehr und war langjähriger Vertreter Deutschlands bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und bei der UNO.

SRF News: Was bedeutet eine Teil-Mobilmachung konkret?

Wolfgang Richter: Dabei bemüht man sich, die aktiven Streitkräfte um Reservisten zu erweitern. Das sind diejenigen, die einst im aktiven Dienst waren, mittlerweile aber Teil der Zivilbevölkerung sind. Die kann man wieder einberufen. Allerdings muss man dann darauf achten, dass sie auch ausreichend ausgerüstet sind. Da sie schon lange nicht mehr im Dienst waren, brauchen sie eine Ergänzungsausbildung.

Wir sprechen über etwa 35 Reservebrigaden – und ausreichend Material liegt auch in Depots.

Und sie brauchen entsprechende Strukturen, in die sie eingeordnet werden können. Das ist in Russland alles vorhanden. Wir sprechen über etwa 35 Reservebrigaden – und ausreichend Material liegt auch in Depots. Allerdings ist das wohl nicht auf dem neuesten Stand und es sind nicht die neuesten Typen. Aber im Gefecht geht es ja auch um Masse und vor allem um die Koordinierung des Gefechts der verbundenen Waffen.

Weshalb werden nun Reservisten eingezogen?

Ich gehe davon aus, dass die Russen durch die operative Niederlage, die sie bei Charkiw erlitten haben, deutlich gespürt haben, dass sie mit dem jetzigen Kräfteansatz nicht mehr vorankommen. 60 Prozent aller Landstreitkräfte sind derzeit in der Ukraine gebunden. Die anderen kann man nicht beliebig abziehen, weil es ja viele andere Hotspots gibt, die man im Griff behalten muss. Das bedeutet, die Kräfte sind knapp. Man muss sie also jetzt erweitern. Aber all das dauert. Ich rechne nicht damit, dass diese Kräfte vor zwei bis drei Monaten an der Front sind.

Welchen Effekt hätte das auf den Krieg?

Einen grossen, weil man neue kampfstarke Strukturen aufstellen könnte, wenn man sie gut führt. Da habe ich allerdings im Moment noch etwas Zweifel, weil die Führungsleistung der russischen Streitkräfte bisher nicht überzeugend war. Man könnte versuchen, Schwerpunkte zu bilden, um die Front zu stabilisieren, aber auch die Offensive wiederzueröffnen.

Jetzt wird Russland zunächst einmal den Luftkrieg verstärken.

Das wäre wahrscheinlich ein Ziel Russlands. Beide Seiten werden sich die Frage stellen: Wer ist in der Lage, langfristig mehr Ressourcen in die Frontlinien einzuführen? Es droht, ein Abnutzungskrieg zu werden. Die Ukraine wird noch mehr auf logistische Hilfe angewiesen sein. Dabei geht es vor allem um den ungeheuer grossen Ersatzteil- und Munitionsbedarf.

Mobilisierung nur mit Kriegsfall begründbar

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«Die Truppen sollen die territoriale Integrität Russlands schützen», sagte Putin in seiner Rede am Mittwoch. Das bekommt angesichts der angesetzten Scheinreferenden in der Ost- und Südukraine eine ganz neue Bedeutung.

«Das ist natürlich völkerrechtlich überhaupt nicht abgedeckt», sagt Experte Wolfgang Richter. «Man kann nicht zuerst ein anderes Land, das das Recht auf Souveränität und territoriale Integrität hat, angreifen, einen Teil davon annektieren, dem eigenen Land zuschlagen und dann behaupten, dass der Angegriffene nun seinerseits russisches Territorium angreift, welches in Wirklichkeit ukrainisches ist. Das ist durchschaubar.» Kein westlicher Staat werde das anerkennen, ist Richter überzeugt.

«Und ich behaupte sogar, dass selbst die Verbündeten Russlands diese Referenden nicht anerkennen werden. China sicherlich nicht.» Insofern würden das Ganze aussenpolitisch keinen Erfolg haben, glaubt er. «Es dient mehr einem innenpolitischen Zweck, damit man begründen kann, warum man diese ‹Spezialoperation› nun doch umdeutet und von einem Krieg spricht. Denn nur mit einem Krieg kann man eine Mobilisierung begründen.»

Ist die russische Militärführung der Herausforderung gewachsen?

Das ist sehr fraglich. Bisher war die logistische Vorbereitung des Angriffs auf die Ukraine alles andere als professionell. Aus militärischer Sicht jedenfalls. Die Anfangsfehler können allerdings auch darauf zurückzuführen sein, dass Putin selbst und seine Führung diesen ukrainischen Widerstandswillen völlig unterschätzt haben. Und ich vermute, jetzt wird Russland, weil es ja noch dauert, bis die Reservisten an der Front sind, zunächst einmal den Luftkrieg verstärken.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

«Es wird ganz und gar nicht einfach»

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Der renommierte russische Ökonom Sergei Guriev, der vor dem Putin-Regime in den Westen geflohen ist, sieht im Gespräch mit SRF News eine der Hauptschwierigkeiten für Russland, dass militärische Ausrüstung fehlt. Niemand wisse zurzeit zudem genau, wie viele russische Armeeangehörige sich in der Ukraine befinden. 300'000 – das wären aber wahrscheinlich mehr Soldaten, als jetzt im Einsatz sind.

Doch Guriev sagt auch, dass diese Soldaten nicht sehr motiviert, nicht gut ausgebildet und nicht gut ausgerüstet sein dürften. Das sehe man auch daran, dass Russland nicht einmal die Soldaten genügend ausrüsten kann, die jetzt schon im Einsatz sind.

Die reine Anzahl könnte zwar einen Unterschied machen, Guriev zweifelt jedoch, ob dies den Kriegsverlauf entscheidend verändern kann. Die jetzige Gegenoffensive werde nicht beeinflusst, auch Guriev geht davon aus, dass es noch Monate dauert, bis die Reservisten in den Krieg eingreifen können.

Echo der Zeit, 21.09.2022, 18:00 Uhr ; 

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