Mit Durchsuchungen in mindestens sechs Bundesländern sind Polizei und Staatsanwaltschaft am Dienstag in Deutschland gegen Klimaschutz-Aktivistinnen und -Aktivisten der Gruppe «Letzte Generation» vorgegangen. Auslöser waren nicht Klebe-Aktionen, sondern mehrere Angriffe im Frühjahr auf Anlagen der Ölraffinerie PCK Schwedt bei Berlin, die für die Treibstoffversorgung in Ostdeutschland essenziell ist.
Ermittelt wird wegen der Störung öffentlicher Betriebe sowie des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Letztere könne gegeben sein, wenn sich Leute wiederholt zu Straftaten verabredeten, begründeten die Behörden. Nach den Razzien bei elf Mitgliedern der Gruppe wurden deren fünf präventiv in Gewahrsam genommen.
Der gestrige Tag sei ein Wendepunkt im Umgang mit der «Letzten Generation» in Deutschland, schätzt Claudia Kade, Ressortleiterin Politik bei der deutschen Tageszeitung Zeitung «Die Welt» in Berlin. Ob sich der Verdacht der kriminellen Vereinigung erhärte, müsse die Auswertung der sichergestellten Handys und Laptops zeigen.
Keine einheitliche Praxis
Bisher gehen die Behörden unterschiedlich hart gegen die «Letzte Generation» vor und es bleibt meist bei Geldstrafen. In Bayern etwa gibt es einen Präventivgewahrsam, um Aktivisten schon vor Aktionen festzusetzen.
Berlin hat spontane Klebeaktionen verboten, wie sie fast täglich auf Verkehrswegen zu Stosszeiten stattfinden. Auf Ermittlungen wegen des Verdachts auf die Bildung einer kriminellen Vereinigung, die etwa auch Abhörmassnahmen ermöglicht, verzichtete die Berliner Staatsanwalt jüngst explizit.
Bei den Mitgliedern der «Letzten Generation» handelt es sich laut Kade um Vollzeit-Aktivistinnen und -Aktivisten. Die Gruppe finanziert sich über Spendengelder und bezahlt damit auch die Geldstrafen. Von der Razzia lässt sich die Gruppe aber nicht beeindrucken. Sie spricht von Einschüchterungsversuchen und wirft den Behörden verfassungswidriges Verhalten vor.
Unterschiedliche Reaktionen
Innerhalb der grossen Klimabewegung «Fridays for Future» ist die Gruppe umstritten und sorgt auch in breiten Teilen der Bevölkerung mit den vielen Verkehrsblockaden und Klebe-Aktionen für Verdruss. Eine Debatte betraf auch die Ambulanzen, die im Stau steckenbleiben könnten. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz lobte den Polizeieinsatz gegen die «Letzte Generation» überschwänglich und erklärte, hier müsse der Rechtsstaat Zähne zeigen.
Doch es gab auch Kritik an der Razzia. So fand die bekannte Klimaaktivistin Luisa Neubauer, es sei absurd, den Kampf gegen die Klimaaktivisten energischer zu führen als den Kampf gegen den Klimawandel an sich. Linken-Chef Martin Schirdewan solidarisierte sich mit der Gruppe. Es sei bizarr, Leuten, die sich auf die Strassen klebten, die Bildung einer kriminellen Organisation zu unterstellen.