In Birr im Kanton Aargau könnte schon bald ein Tabu der Grünen gebrochen werden, nämlich in der Versuchsanlage des italienischen Energieunternehmens Ansaldo. Denn diese Anlage kann sowohl mit Gas als auch mit Erdöl betrieben werden, um Strom zu produzieren.
Die «Sonntagszeitung» machte publik, dass das Energiedepartement von Bundesrätin Simonetta Sommaruga prüfe, im Notfall Ölkraftwerke in Betrieb zu nehmen, obwohl diese noch mehr CO2 ausstossen als Gasturbinen. Das Departement sagt zwar nicht, ob konkret die Anlage in Birr geprüft wird.
Klar ist aber, dass sie dafür geeignet wäre. Unterstützung für dieses Vorhaben kommt ausgerechnet von einem Grünen-Politiker. Jonas Fricker ist ETH-Umweltwissenschaftler, Ex-Nationalrat und Kantonsparlamentarier im Aargau.
Ölkraftwerk als Notlösung
Strom aus einem Ölkraftwerk kann sich der Grünen-Politiker und Co-Präsident von WWF Aargau, Jonas Fricker, durchaus vorstellen – jedoch nur als Notlösung. Er sagt: «Es handelt sich um eine Art Versicherung. Wir dürfen uns von Energieengpässen nicht überraschen lassen.»
Selbstverständlich bleibe das Ziel bestehen, Energie erneuerbar zu produzieren. Am Grundsatz der Klimaneutralität dürfe nicht gerüttelt werden. «Allerdings muss die Energieversorgung jederzeit gewährleistet sein, gerade in der aktuellen Krisensituation. Deshalb bin ich zu solchen Konzessionen bereit.»
«Viele ändern aktuell ihre Meinung»
Dass ökologische Prinzipien nicht in Stein gemeisselt sind, haben Umweltorganisationen wie WWF und Pro Natura im Dezember bewiesen, als sie ihre Positionen zu Speicherseeprojekten aufweichten. Derzeit kauft in Deutschland der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck auf der ganzen Welt Gas ein.
Womöglich verlängert Habeck auch die Laufzeiten von Atomkraftwerken. Aline Trede, Fraktionschefin der Grünen im Nationalrat, hält die Entwicklung für bedenklich. Der Krieg in der Ukraine verunsichere. Viele würden derzeit Schnellschüsse machen und ihre Meinung ändern, und zwar auf beiden Seiten.
Die Diskussion um mögliche Ölkraftwerke ist laut Politgeograf Michael Hermann ein gutes Beispiel dafür, was der Ukraine-Krieg mit der Schweizer Politik gemacht hat. «Ich finde es bemerkenswert. Was zwei Jahre Corona nicht geschafft haben, hat der Krieg nun möglich gemacht. Plötzlich sind Sachen diskutierbar, sogar mehrheitsfähig, was man vor Kurzem nicht gedacht hat.»
SVP will weniger Brachen und Buntwiesen
Auch bei der neu angekündigten Initiative der SVP sieht Hermann einen Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.
«In den letzten 60 Jahren hat jeder Konsument und jede Konsumentin im Laden immer volle Regale beim Einkaufen vorgefunden. Heute ist man sich bewusst, dass das nicht mehr selbstverständlich ist», sagt SVP-Nationalrat Martin Haab gegenüber SRF.
Nutzt die SVP damit die Gunst der Stunde und Ängste in der Bevölkerung wegen einer möglichen Versorgungsknappheit? Davon will Haab nichts wissen. Es sei schon immer der Grundauftrag der Landwirtschaft gewesen, die Bevölkerung mit nachhaltigen Nahrungsmitteln zu versorgen. Klar ist: Die aktuellen Krisen stellen auf jeden Fall rechts bis links vor die grossen Fragen.