Es klang mehr wie eine Beschwörung, denn wie ein Versprechen, was Mario Draghi, der italienische Regierungschef und Gipfel-Gastgeber, seinen G20-Kolleginnen und -Kollegen zum Auftakt entgegenrief: «Wir müssen alles tun, dass bis Mitte nächsten Jahres 70 Prozent der Weltbevölkerung geimpft sind», so Draghi.
Das soll am Sonntag auch im Abschlusscommuniqué stehen. Die G20 unterstützen damit das Ziel der Weltgesundheitsorganisation WHO. Doch schon gibt es Zweifel, ob die G20 auch halten können, was sie versprechen. Jörn Kalinski, G20-Koordinator der Nichtregierungsorganisation Oxfam, begründet die Skepsis damit, dass bisher alle Versprechen gebrochen worden seien.
So sollten bis Ende des Jahres eigentlich 40 Prozent der Weltbevölkerung geimpft sein. Doch schon jetzt ist klar, dass der Plan nicht aufgeht. Geimpft sind nach verschiedenen Schätzungen bislang nur zwischen zwei und vier Prozent aller Menschen. Während viele Industrieländer die dritte Impfung planen, sitzen viele arme Länder auf dem Trockenen.
Da stehen viele Sachen drin, die gemacht werden sollen, aber es steht nicht drin, wer sie bis wann macht. Und zwar verbindlich.
Was Oxfam-Vertreter Kalinski mit Blick auf die neue 70-Prozent-Vereinbarung ausserdem misstrauisch macht: «Da stehen viele Sachen drin, die gemacht werden sollen, aber es steht nicht drin, wer sie bis wann macht, welche Fabrik bis wann wo gebaut wird oder wie viele Impfdosen Covax bis wann erhält. Und zwar verbindlich.»
Ein Minimalkonsens. Mehr Verbindlichkeit war offenbar nicht drin. Und trotzdem ist das 70-Prozent-Impfziel bisher fast die konkreteste Vereinbarung, die auf dem G20-Tisch liegt.
Hoffnung auf ein starkes Signal Richtung Klimaschutz
Das zweite Hauptthema an diesem zweitägigen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs ist das Klima. Morgen beginnt in Glasgow der globale Klima-Gipfel. Und viele erhoffen sich vom G20-Gipfel in Rom ein starkes Signal in Richtung Klimaschutz. Die G20 stünden in einer besonderen Verantwortung, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die die EU auf diesem Gipfel vertritt: «Wir, die G20, sind verantwortlich für 80 Prozent der Treibhausgasemissionen.» Es brauche einen mutigen Schritt voran mit Zielen und Verpflichtungen.
Doch auch hier harzt es. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müssten die G20-Länder zusagen, ihre CO2-Emissionen deutlich stärker zu reduzieren, als bisher. Nach bisherigen Plänen würden die Emissionen bis 2030 noch um 17 Prozent steigen. Auch in der Frage, bis wann die Länder klimaneutral werden wollen, liegen die Positionen noch weit auseinander: Die USA, die EU und viele andere peilen das Jahr 2050 an, China – als grösster CO2-Emittent weltweit – erst 2060. Dass Chinas Regierungschef Xi Jinping wie auch Russlands Staatschef Wladimir Putin zum G20-Gipfel gar nicht erst angereist sind, könnte eine Einigung erst recht erschweren.
Auch das zeigt: So entschlossen vereint, wie nach der globalen Finanzkrise, sind die G20 schon lange nicht mehr. Die geopolitische Situation hat sich seitdem grundlegend geändert. Die Interessen zwischen Industrie- und erstarkenden Schwellenländern – allen voran China – sind oft sehr unterschiedlich, was sich auch auf diesem Gipfel zeigt.
Der Grundkonsens unter den G20 scheint weiterhin relativ gering zu sein.
Bodo Ellmers, langjähriger G20-Beobachter von der Nichtregierungsorganisation Global Policy Forum: «Der Grundkonsens unter den G20 scheint weiterhin relativ gering zu sein.» In vielen Bereichen könnten die G20 auch lediglich politische Absichtserklärungen geben.
Ob der Gipfel in Rom die nicht allzu hohen Erwartungen übertrifft, wird sich erst am Sonntag zeigen. Dann soll dieser Gipfel zu Ende gehen. Die Staats- und Regierungschefs werden gleich weiterziehen – zum Klima-Gipfel in Glasgow.