- Bei den Kommunalwahlen in der Türkei ist die Oppositionspartei CHP stärkste Kraft geworden.
- Die Wahlbehörde bestätigte am Mittag den überraschenden Wahlausgang, der sich bereits in der Nacht abgezeichnet hatte.
- Ein amtliches Endergebnis steht noch aus.
- Im Südosten des Landes überschatteten gewalttätige Zusammenstösse mit zwei Todesopfern die Wahlen.
Die Mitte-Links-Partei habe vorläufigen Ergebnissen zufolge landesweit 35 der 81 Bürgermeisterposten gewonnen, sagte der Leiter der Wahlbehörde, Ahmet Yener. Die islamisch-konservative AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde damit erstmals seit ihrer Gründung 2001 nur zweitstärkste Kraft. Sie gewann 24 Bürgermeisterämter.
Die prokurdische Dem-Partei gewann zehn der Ämter, der ultranationalistische Regierungspartner Erdogans, die MHP, gewann acht, wie der Wahlbehördenleiter weiter sagte. Die islamistische Yeniden Refah Partei gewann zwei der Ämter, wurde aber im prozentualen Landesdurchschnitt drittstärkste Kraft (6.2 Prozent) – wenn auch mit grossem Abstand zur zweitplatzierten AKP (35.5 Prozent) und der erstplatzierten CHP (37.7 Prozent).
Die Wahlbeteiligung fiel geringer als bei vergangenen lokalen Abstimmungen aus: Sie habe zwischen 78.1 und 80.7 Prozent gelegen, sagte Yener. 2019 hatten laut Anadolu etwa 84 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme bei der Kommunalwahl abgegeben.
Sieger heisst Imamoglu
Erdogans AKP verliert nicht nur über das gesamte Land hinweg gesehen, sondern auch in den fünf bevölkerungsreichsten Städten, einschliesslich Istanbul und Ankara.
In Istanbul kommt Amtsinhaber Ekrem Imamoglu von der CHP nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Wahlurnen auf 51.1 Prozent der Stimmen. Sein Herausforderer, der Kandidat der AKP, Murat Kurum, erhält 39.6 Prozent der Stimmen. Ekrem Imamoglu hat sich bereits am Sonntagabend als Sieger der Wahl ausgerufen.
Auch in der Hauptstadt Ankara erklärte sich der Amtsinhaber und CHP-Kandidat Mansur Yavas bereits zum Wahlsieger, meldete die Agentur AFP. Er kommt auf gut 60 Prozent der Stimmen.
Erdogan bedauert das Ergebnis
Die Kommunalwahlen galten als bedeutendes Stimmungsbarometer und als Weichensteller für die politische Zukunft des Landes. Durch den erneuten Sieg wird Imamoglu als möglicher künftiger Anwärter für die Präsidentschaft gestärkt.
Wir haben nicht das Ergebnis erzielt, das wir uns gewünscht und erhofft haben.
Recep Tayyip Erdogan zeigt sich enttäuscht über die Ergebnisse der Kommunalwahl: «Wir haben nicht das Ergebnis erzielt, das wir uns gewünscht und erhofft haben.» Der amtierende türkische Präsident will zudem innerhalb der Partei mutige Selbstkritik: «Wir werden die Ergebnisse der Wahlen in den Organen unserer Partei aufrichtig bewerten und mutig Selbstkritik üben.»
Der Wahlkampf galt als unfair – ein Grossteil der Medien in der Türkei steht unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung. Grössere Unregelmässigkeiten bei der Abstimmung wurden zunächst nicht gemeldet. Die Partei DEM teilte mit, in der südosttürkischen Provinz Sanliurfa hätten Beamte versucht, an mehr als einer Urne abzustimmen. Man habe dies verhindert und dokumentiert.
Eine Delegation des Europarats beobachtete die Wahlen vor Ort. Einen geordneten Ablauf sollten auch Tausende Freiwillige gewährleisten. Der Verein Oy ve Ötesi erklärte kurz vor der Abstimmung, man habe 30'000 Menschen rekrutieren können. Das seien mehr als bei den Kommunalwahlen 2019, aber deutlich weniger als bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023, zu denen sich 200'000 Menschen als Wahlhelfer gemeldet hätten.